Vermutungen bestätigt

Ein DDR-Diplomat erinnert sich

War für die meisten DDR-Bürger schon eine Westreise utopisch, so umwehte das Dasein der DDR-Topdiplomaten wilde Exotik. Doch das Rätseln hat ein Ende: Mit seinen Memoiren eröffnet Horst Grunert erstmals tiefere Einblicke ins Innenleben der DDR-Außenpolitik.

Seit 1951 beim DDR-Außenministerium, wurde Grunert zunächst in Polen, Finnland und Syrien eingesetzt, bereiste dann die "Dritte Welt" und nahm an der historischen Genfer Außenministerkonferenz 1959 teil. 1973 erster DDR-UNO-Vertreter, später Botschafter in der USA und Kanada. Endstation war 1986 die Wiener DDR-Botschaft.

Der Mann kann viel erzählen; sein Buch lebt von – zuweilen banalen – Anekdoten. Eloquent (und egozentrisch) schildert er Begegnungen mit den Großen dieser Welt – darunter US-Präsidenten, Monarchen, Spitzen der europäischen Politik sowie Wirtschafts- und Kulturprominenz. Das Gros seiner Protagonisten sucht er charakterlich zu skizzieren, was für die "Ehemaligen" vor allem hinsichtlich ihrer früheren "Partei- und Staatsführung" interessant sein dürfte. Zumal Grunert viele Vermutungen über sie bestätigt: Intelligenzfeindlichkeit, Machtfixierung, verbreitete kulturelle Unbildung, Eitelkeit, Untertanengeist und Senilität.

Bei aller ehrenwerten Selbstkritik sieht sich der stets nach oben Gefallene indes penetrant als Opfer der "Zentrale". "Der Posten eines Botschafters in den USA zählt in allen Ländern zu den diplomatischen Spitzenpositionen", liest man, doch Grunerts Berufung dorthin bekommt den Beigeschmack einer Strafversetzung, wegen von Margot Honecker denunzierter "ideologischer Fehler". Daß er dem Österreich-Einsatz nur unter einer Befristung auf drei Jahre zugestimmt habe, klingt ebenso seltsam: International sind drei Jahre die Regel für Botschafter-Aufenthalte; die Bindung ans Gastland soll nicht zu eng werden, damit der Diplomat nicht eines Tages dessen Interessen mitvertritt. Überflüssig das Bekenntnis, er sei kein Widerständler gewesen, denn er selbst ist wohl nie jenen führenden Genossen zu nahe getreten, denen er mehrfach "Feigheit vor dem Freund" vorhält.

Peinlich sind ferner Faktenfehler (etwa wird ein Attentat in San Francisco um zehn Tage verlegt; nur so wird Grunert Teil einer Sex-and-Crime-Story) und diverse Stilblüten: " sowohl zur Rechten wie zur Linken hatte eine bezaubernde junge Dame Platz genommen, beides Prinzessinnen ", berichtet Grunert z. B. von einer Gala bei Prinz Sihanouk. Und vom Treffen mit Bruno Kreisky: "Ich hatte den Auftrag, dem Alt-Bundeskanzler einen Brief von Erich Honecker mit einem Protokollband der Karl-Marx-Konferenz zu übergeben, die anläßlich seines 100. Todestages veranstaltet wurde" – Kreiskys oder Honeckers? "Schließlich war die Rednerliste erschöpft", formuliert der Autor an anderer Stelle. Da ist es der Rednerliste womöglich ähnlich ergangen wie dem Lektorat, das keine Seite fehlerfrei imprimierte.

Eike Stedefeldt

Horst Grunert: Für Honecker auf glattem Parkett. Edition Ost, Berlin 1995, 337 Seiten, 24,80 Mark.

Erschienen in Berliner Zeitung, 14. Oktober 1995