Die Künstlerin

Am 8. September starb in Berlin die Satirikerin und frühere Andere-Welt-Redakteurin Anne Köpfer. Ein Nachruf von Eike Stedefeldt

"Der Chef vom Dienst trägt die Verantwortung für das pünktliche Fertigstellen politisch und typografisch sauberer Seiten nach dem mit der Druckerei vereinbarten Zeitplan." Aus Sätzen wie diesem wurden bei Anne Köpfer für gewöhnlich bitterböse Satiren. Entnommen ist er dem Funktionsplan der Tribüne, der Tageszeitung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes der DDR, datierend vom 9. Januar 1989. Der dortige Chef vom Dienst hieß seit dem 1. Januar 1989 Renate Mille, geboren am 7. August 1939 in Berlin-Tempelhof. Von Beruf Schriftsetzer, hatte sie zuvor über 30 Jahre lang an der Setzmaschine gestanden – zunächst beim Verlag Neues Deutschland, dann in der Tribüne-Druckerei. Daß erst ein berufsbedingter Hörschaden einen Arbeiter wie sie (sie nannte sich nie Arbeiterin; das, so meinte sie, würde sie im Status unter die männlichen Kollegen stellen) in eine leitende Position brachte, empfand sie als skurril, zumal sie (worauf sie sehr stolz war) nie einer Partei oder sonstigen Massenorganisation angehört hatte. CvD blieb sie, bis 1991 die Tribüne eingestellt wurde. Die Arbeitslosigkeit, eine neue, nie für möglich gehaltene Erfahrung, stürzte sie in eine Krise, von der sie sich nie ganz erholte.

Da hatte aber bereits ihr zweites Leben begonnen, das der Anne Köpfer. Für Die Andere Welt (DAW), das 1990 gegründete erste und letzte DDR-Lesben- und Schwulenblatt, wollte sie Kupfer heißen; unter diesem Namen erschien in Ausgabe 5 (Juli/August 1990) auch ihr erster Text "Der kleine Unterschied". Ausgerechnet ein Druckfehler im Impressum machte sie ab Oktober 1990 zur Köpfer; damals wurde die DAW noch korrekturgelesen, und diese Tätigkeit oblag einer des Deutschen mächtigen und vor allem stilsicheren Anne Köpfer. "Sie fragen nicht, wir antworten trotzdem" ironisierte die Leserpost-Redakteurin das Ausbleiben von Briefen. Jene Post indes, die einging, beantwortete sie ausführlich und altmodisch-charmant, denn sie hatte hohe Achtung vor ihrem Publikum. Die von der Urberlinerin verantworteten Satireseiten war sie indes durchweg gezwungen, selbst zu füllen – die erwarteten halbwegs brauchbaren Manuskripte trafen einfach nicht ein. In ihrer Not schrieb sie meist kurz vor Redaktionsschluß "selbst etwas zusammen" – und das war stets erste Wahl. Scharf beobachtet und oft drastisch formuliert, gewürzt mit einem kräftigen Schuß Selbstironie, kommentierten ihre Satiren und Glossen Vorgänge und Zustände im übriggebliebenen deutschen Staat. Kein Wunder, daß ihre "Geschichten aus der anderen Welt" zum Aushängeschild des "Schwulen-ND" wurden, als das Die Andere Welt damals in der Szene gern denunziert wurde. Ab 1992 ging Köpfer bundesweit auf Lesereisen und trug mit den Honoraren – Tausenden von Mark – zur Finanzierung der Zeitung bei. Düster dreinblickend, sich versteckend hinter dunkler Brille und herben Weißwein trinkend riß sie mit ihrer rauhen Grüne-Marlboro-Stimme und Geschichten wie "Frau Riechling sieht durch", "Lesbische Träume" oder Rezensionen wie "Elula – Königin der lesbischen Nächte" das Publikum zu Lachsalven hin. Als sie, es war in Dresden, nach einer Lesung jemand "Künstlerin" nannte, war sie sprachlos vor Rührung.

Doch zu diesem Zeitpunkt, Ende April 1993, hatten neue Herausgeber bereits das größte Kapital der Anderen Welt verspielt und mit allen Zeitungsprofis auch Anne Köpfer vergrault. Ein buntes Anzeigenblatt, das aus der bis dahin käuflich zu erwerbenden "Provokation in Grau" werden sollte – "Was nichts kostet, ist auch nichts wert!" (Köpfer) – war ihre Sache nicht: Sie war, ohne es vielleicht selbst zu ahnen, längst in eine andere Liga aufgestiegen.
Mit "Zuviel DDR, zuwenig homosexuell" (PegasusDruck 1994), "Verkehrsberuhigte Zone" (edition ost 1996) und "Wie das Leben so schielt" (Querverlag 1997) erschienen ihre Kurzgeschichten in Buchform; vertreten war sie auch in Sammlungen wie zuletzt dem lesbischen Satire-Buch "Sisters in Motion" (2001) – und deklassierte dort mit ihren "Dummen kleinen Ostrezeptoren" sämtliche anderen Autorinnen. Haushoch gewann sie 1996 den Reemtsma-Literaturwettbewerb "Alte Hasen junges Herz" (eine gleichnamige Anthologie erschien im Albino-Verlag) und sorgte nebenbei noch dafür, daß der Plan des schwulen Berliner Verlegers Gerhard Hoffmann mißlang, alle AutorInnen um die Rechte an ihren Texten zu bringen und um ihr Honorar zu prellen: Sie bestand auf einem regelrechten Verlagsvertrag. Parallel schrieb sie als Autorin – inzwischen auch journalistisch – für ND, Freitag, Junge Welt und Ossietzky sowie diverse kleinere Blätter.

Das dritte Leben der nur in Jeans, T-Shirts und Turnschuhen wirklich echten "Künst-lerin" (so nannten sie ihre Freunde liebevoll) befand sich gerade am Anfang. Ab 1998 bis Herbst 2000 stand sie – nun wieder unter ihrem bürgerlichen Namen – für die Berliner Theatergruppen "Ostschwung" und "Joris" auf der Bühne und schrieb sich und anderen die Sketche auf den Leib. Für das Politstück "Marx meets Madonna" bekam ihre Truppe "Ostschwung" beim London International Festival of Reminiscence Theatre 2000 einen Preis – sie war darin der running gag.

Als "Standardlesbenmodell" hat Köpfer Frauen ihrer Art mal beschrieben: "kurzhaarig, kleine Brüste, schmalhüftig". Sie sei doch nicht politisch, behauptete sie stets. "Leider war ihr der Schwachsinn nicht auszureden", um es mit einer ihrer bevorzugten Formulierungen zu sagen. Denn sie war der absolute Gegenentwurf zum Heimchen am Herd, dachte und verhielt sich entsprechend, ohne das als außergewöhnlich zu empfinden. Das machte vor allem manchen Männern den Umgang mit ihr sehr schwer, zumal sie auch sonst recht eigensinnig und nicht gerade zimperlich war, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Doch das kümmerte sie nun überhaupt nicht; sie hatte sich immer gegen Männer durchsetzen müssen. Insofern war sie sogar Feministin (das hätte sie allerdings weit von sich gewiesen). Sie habe einen "gesunden Klasseninstinkt", urteilte ihre langjährige Lebenspartnerin einmal, da fühlte sie sich geschmeichelt. Ihr Leben war das einer DDR-Frau: typisch und untypisch zugleich. Sie ging auf in ihrem Beruf, der Kollegenkreis war ihre Familie. Die DDR mochte sie nicht sonderlich, zu fein war ihr Gespür für deren Schizophrenie. Aber jenen Staat, in den sie 1990 gestoßen wurde, verachtete sie von ganzem Herzen: Er nahm ihr den Arbeitsplatz – damit zerriß ihr über Jahrzehnte gewachsenes soziales Netz – und nicht zuletzt die ökonomische Selbständigkeit. Die aber war für sie das Hinterland einer offen lesbisch Lebenden, und als Ausdruck dafür findet man in vielen ihrer Geschichten einen gewissen Hang zum Gelde wieder.

Der letzte Text, den sie nach ihrer Krebsoperation schrieb, erschien in der 1999 gegründeten sexualpolitischen Zeitschrift Gigi, deren Seiten sie anfangs wiederum korrekturlas – und abermals auch auf Stilistik. Daß Gigi, in deren Impressum sie als ständige Mitarbeiterin stand, am 22. September in Köln der Felix-Rexhausen-JournalistInnenpreis in der Kategorie "beste lesbisch-schwule Zeitschrift" überreicht wurde, erfuhr sie leider nicht mehr. Sie war wenige Stunden vor Eingang dieser Mitteilung gestorben. In der Gigi-Rubrik "Schicksale" wird künftig ein bestimmter Tonfall, ein vordergründig naiver Blick auf diese Gesellschaft fehlen.

Kam die Köpfer mit einer angefangenen Geschichte nicht voran, zündete sie sich eine grüne Marlboro an, trank einen kräftigen Schluck Wein und fragte resignierend: "Wen interessiert denn das?" Daß ihre kleinen sarkastischen, teils garstigen Werke so manche/n interessierten, hat "die Künstlerin" nie glauben wollen. Es wird viele geben, die sie künftig vermissen werden: die Geschichten und Anne Köpfer.

 

The story behind

Diesen Nachruf schrieb ich am 24. September und lieferte ihn am 25. September 2001 auf Bestellung der Lesben- und Schwulenzeitung Die Andere Welt in Berlin. Unfähig, einen jorunalistischen Beitrag zu lesen und in Unkenntnis der eigenen Geschichte, fühlte sich die heutige Redaktion, von der niemand mehr Anne Köpfer persönlich kannte, durch den Text verunglimpft. Auch sah man sich unangenehm berührt durch die Erwähnung des Umstandes, daß Anne Köpfer die Zeitung einst maßgeblich mitfinanziert hatte. War es schon eine Frechheit – von Pietät ganz zu schweigen –, den Nachruf nicht erscheinen zu lassen, setzte die Redaktion noch eins drauf. Im Dezember-Heft 2001 erschien ein mit dem Namen des DAW-Mitarbeiters Jens Knorr unterzeichneter "Nachruf", der auf wesentlichen Informationen aus meinem Mauskript beruhte und das in seiner Verlogenheit – "Die Redaktion der Zeitschrift 'Die Andere Welt' trauert um Anne Köpfer" – jeder Beschreibung spottet. Daß ich mich Monate später auf der DAW-Homepage darüber beklagte, bewirkte dort ein interessantes Nachspiel.