Gesellschaftsspiele mit Pipetten

Künstliche Befruchtungsmethoden haben vor allem der Reinhaltung des deutschen Volkskörpers zu dienen. Von Eike Stedefeldt

Als am 3. April das Bundessozialgericht die gesetzlichen Krankenkassen zur Kostentragung für Intracyto-plasmatische Spermieninjektionen (ICSI) verpflichtete, wurde dies medial zu Recht als Erfolg gefeiert. Die Methode gibt es in der BRD seit 1993, und 1996 lag die Zahl der ICSI-Behandlungen bereits bei 16.000. Für die Kassen ist das Urteil angesichts von rund 1,5 Millionen ungewollt Kinderlosen und rund 100.000 therapierten Frauen und Männern pro Jahr durchaus ein Schlag ins Kontor.

Kaum beachtet wurde hingegen, daß in Kassel durchweg Ehepaare die Kostenübernahme einklagten. Ursächlich dafür sind die dubiosen gesetzlichen Grundlagen nicht nur dieser speziellen künstlichen Befruchtungsmethode, und die obliegen vor allem der Bundesärztekammer. "Unmittelbare gesetzliche Aufgaben sind der BÄK u.a. im Rahmen der Qualitätssicherung sowie der Transplantationsgesetzgebung zugewachsen" heißt es in deren Selbstdarstellung. Das ist sanft ausgedrückt, denn Teile des ärztlichen Berufsrechts (Richtlinien, Empfehlungen, Berufsordnungen) haben Gesetzcharakter. Damit "wuchs" derselben Berufsorganisation, die mit dem Know-how über die Exekutionsgewalt verfügt, auch die ethisch-moralische Definitionsmacht zu, wie ihre 1998 novellierten "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion" zeigen. "Mit diesen Richtlinien sind der Ärzteschaft verpflichtende Regeln gegeben, die strikt einzuhalten sind", antwortete Staatssekretärin Christa Nickels am 24. Juni 1999 auf eine Kleine Anfrage der PDS, die wiederum auf die Kritik des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) vom 10. März 1999 zurückging. Das BMG machte damals geltend, "daß so gut wie alle Fragen" der sexualpolitischen Organisation "an die Bundesärztekammer gerichtet sind", man also dazu "nicht Stellung nehmen kann".

Schade, denn die Lektüre der Richtlinien erinnert durchaus an die Reichsärztekammer. Etwa in Teil 3 (Zulassungsbedingungen) samt Kommentar sowie Teil I des Anhangs betreffend die "Vermeidung sozialer und rechtlicher Nachteile für ein durch IVF gezeugtes Kind". Letzteres obläge an sich den Ministerien für Arbeit und Soziales, Familie, Justiz und letztlich dem Bundestag. So aber folgt der Staat, der die UNO-Kinderrechtskonvention nur teilratifizierte, um weiter zwischen in- und ausländischen Kindern unterscheiden zu dürfen, weitgehend dem Gesellschaftsbild der konservativen Medizinmänner.
Zum Beispiel soll der Arzt "im Rahmen einer Unfruchtbarkeitsbehandlung darauf hinwirken, daß dem Paar eine kompetente Beratung über ... die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen zuteil wird". Und zwar soziale; medizinische und rechtliche werden anderswo erläutert. Unfrei ist der Patient auch in der Wahl des Zeugungspartners: "Grundsätzlich darf nur Samen des Ehepartners Verwendung finden (homologes System). Bei "nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft" darf künstliche Befruchtung "nur nach vorheriger Beratung durch die bei der Ärztekammer eingerichtete Kommission durchgeführt werden", wobei gilt, daß "zuverlässig festgestellt werden kann, daß diese in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft leben". Wenn das denn jemanden was anginge: Wie sollte derlei zu verifizieren sein? Klarheit herrscht dagegen bei Perversen: "Die Anwendung der Methoden bei alleinstehenden Frauen und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist nicht zulässig", denn "im Hinblick auf das Kindeswohl verbietet es sich, einer alleinstehenden Frau oder gleichgeschlechtlichen Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen". Richtig gelesen: verbieten. Gelange der Arzt "zu der Überzeugung", daß sich durch die Geburt eines Kindes "Probleme der Partnerschaft nicht bewältigen lassen, so soll er keine der aufgeführten Behandlungsmethoden der Fortpflanzungsmedizin anwenden". Kurzerhand wird die sonst so schützenswerte ungezeugte Leibesfrucht zum Kitt der politisch erwünschten Lebensform Ehe degradiert und hat gefälligst nützlich zu sein – oder zu verschwinden.

Wer festgelegt, welche Menschen zeugen dürfen, will auch bestimmen, was dabei herauskommen soll – oder besser: nicht herauskommen darf. Dazu schreibt die BÄK vor einer ICSI-Therapie "eine Stammbaumanalyse beider Partner" vor. "Ergeben sich Hinweise auf Erkrankungen, die genetisch bedingt sein könnten, so muß eine Beratung durch einen Humangenetiker erfolgen.„ Muß sich ein "Gesunder" zwecks "Verhinderung erbkranken Nachwuchses" vorm Zeugungsakt beim Humangenetiker melden? Nein, aber hat man schon mal Verfügungsgewalt über zeugungswillige Körper, kann man halt vorsorglich unappetitlichen Schaden vom deutschen Volke abwenden.
Zur Reinhaltung des Blutes bedarf es, sollen "bei der Anwendung dieser Methoden fremde Samenzellen verwendet werden", "eines zustimmenden Votums der bei der Ärztekammer eingerichteten Kommission. Die Anwendung der Methoden ist unzulässig, wenn erkennbar ist, daß die Frau, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden soll, ihr Kind nach der Geburt auf Dauer Dritten überlassen will". Wie sollte dieser "kriminelle" Vorsatz definitiv "erkennbar" sein? In jedem Falle hat laut BÄK "das durch heterologe Insemination gezeugte Kind einen Anspruch auf Bekanntgabe seines biologischen Vaters, da die biologische Vaterschaft, zum Beispiel im Eingehen einer Ehe, im Hinblick auf seine Gesundheit und die seiner Nachkommenschaft von wesentlicher Bedeutung ist". Was hier als Mittel generationsübergreifender Volksgesundheit verkauft wird, ist der Zweck selbst. Wichtig ist der "Rechtsanspruch des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft" allein fürs Dingfestmachen des Erzeugers zufällig "degenerierten" Nachwuchses. Dazu dient auch, daß "die Verwendung eines Mischspermas ausgeschlossen ist". Prompt erweist sich die leichte "spätere Identifikation des biologischen Vaters" als kompatibel zu staatlichen Sparkonzepten und wird der Neoliberalismus völkisch.

Seit 1. Januar 1991 verbietet das Embryonenschutzgesetz sowohl Eizellenspende als auch Ersatzmutterschaft. Der Gesetzgeber, so die BÄK, habe eine "gespaltene Mutterschaft" verhindern wollen, weil "das Kind in seiner gesamten körperlichen und seelischen Entwicklung sowohl durch die von der genetischen Mutter stammenden Erbanlagen wie auch durch die enge während der Schwangerschaft bestehende Beziehung zwischen ihm und der austragenden Mutter entscheidend geprägt wird". Da sprach auch der Gesetzgeber mit der Stimme des Blutes. Die BÄK untermauert das Verbot mit "besonderen Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des Kindes und negativen Auswirkungen auf seine seelische Entwicklung". Bliebe die Frage, warum die Gene nicht rebellieren, wenn derselbe Gesetzgeber unter Berufung auf dasselbe Kindeswohl diese in Heimen oder Ersatzfamilien unterbringt, Adoptionen aus "sozialer Indikation" zuläßt oder erlaubt, Kinder auf Internate zu schicken?

Fazit: Den zuständigen Kommissionen bieten sich weitreichende Möglichkeiten zur Beeinflussung der Bevölkerungsstruktur – in bezug auf "Gesundheit" ebenso wie auf soziale Beziehungen. Im Kontext von Ausländer-, Staatsbürgerschafts- und Asylrecht wird klar, daß sie hier über ein Instrument verfügen, mit dem sich trefflich rassistische Vorurteile exekutieren lassen. Leicht läßt sich beispielsweise die absehbare Diskriminierung eines zu Zeugenden aufgrund der Hautfarbe als eklatanter Widerspruch zum Kindeswohl deklarieren: künstliche Befruchtung abgelehnt.

Erschienen in junge Welt, 30. Mai 2001