Inventar einer Supermacht

Ein Road Movie für Pazifisten. Von Eike Stedefeldt

Ich war mal wieder in Amerika. Genauer gesagt, in New Mexico. Drei Wochen winterliche Wüstenfahrt, Urlaub mit dem Lieblingsmann, den es für ein Jahr nach Los Alamos verschlagen hat. – Richtig, dorthin, wo die ersten A-Bomben gebaut wurden.

Nach 25 Flugstunden müde in Albuquerque angelangt, lädt mich mein Freund bei Robert und CB ab. Beeindruckt vom Anwesen, das wie die halbe Stadt im typischen Pueblo-Stil erbaut ist, ergötze ich mich am prächtigen Ausblick über die nächtliche Metropole. CB stammt aus Peking, ist Mitte 30 und lebt schon seit Jahren in den USA. Robert hat ihn vor zwei Jahren kennengelernt. Der sportliche 50er erzählt, er sei Spezialist für Microwaves. Seine Firma beliefere halb Europa, Frankreich vor allem. Moulinex kommt mir in den Sinn. Dann zeigt er mir seine Visitenkarte und mir dämmert, daß diese Sorte Microwaves nur sehr bedingt küchentauglich sein dürfte. "1997 liefern wir erstmals nach Deutschland", verkündet Robert. Mein Freund erklärt mir später, die Gegend sei nicht ohne Grund stinkreich; jeder zweite Job hänge irgendwie an der Rüstung. Übrigens sei dies nicht Roberts einziges Haus.

Tags darauf brechen wir auf gen Süden, in die mit Ausnahme Alaskas dünnstbesiedelte Region der USA. Gelbe Grassteppe wechselt mit tiefen Canyons und hohen Bergen; auf dichte Nadelwälder folgen Yuccas und Kakteen. Je nach Höhenlage schwankt die Temperatur zwischen 20 Grad plus und minus.

Roswell würde niemand kennen, hätte am 8. Juli 1947 der Roswell Daily Record nicht mit einem angeblichen UFO-Crash aufgemacht. Erst letztes Jahr machte jenes Roswell Incident abermals Schlagzeilen, als ein dubioser Film die heimliche Obduktion eines Aliens durch die Air Force beweisen sollte. Das Provinznest pflegt den Mythos, der sein einziger ist; zwei UFO-Museen konkurrieren um die Touristen.
Weniger unbekannte Flugobjekte sind vom Highway aus zu beobachten, der den örtlichen Airport tangiert. Regelmäßig suchen Militärfreaks mit Nachtsichtgeräten, Hobby-Teleskopen und Kameras nächtens den Flughafen nach neuestem Kriegsgerät ab, wie mich mein Freund aufklärt. Mensch, sage ich, da drüben schmiert gerade ein Airbus ab! Plötzlich dreht der grau-weiße A 300 ab und kommt direkt auf uns zu. Als er mit ausgeklinktem Fahrwerk 50 Meter über uns die Straße kreuzt, erkenne ich am Rumpf die Aufschrift: Luftwaffe. Nach einer weiteren Tiefflug-Schleife setzt das Ungetüm sanft auf.

Carlsbad markiert den südlichsten Punkt unserer Tour. Ausmaße und Schönheit der dortigen Tropfsteinhöhlen sind wahrhaft atemberaubend. Die Straße nach Westen ist wie mit dem Lineal durch die Wüste gezogen. Zweihundert Meilen vor uns liegt Alamogordo, wo wir das Space Museum besuchen wollen. Fast unmerklich nimmt die Vegetation wieder zu; es wird bergig und spürbar kälter. Eine schmale Straße führt durch den Lincoln National Forrest hinauf zum berühmten Sunspot Observatory. Hier, in über 2000 Meter Höhe, liegt dicker Schnee; auf dem Overlook sorgt eine Tafel für Orientierung: In der Ferne erheben sich die San Andres Mountains, davor liegt White Sands. Das Wüstenareal macht seinem Namen alle Ehre. Alamogordo ist direkt unter uns. Man lebt von der Holloman Air Force Base und ist stolz auf den Ausweichlandeplatz für Space Shuttles. Die Tafel hält einen pikanten Tip parat: "Mit ein wenig Glück können Sie über Alamogordo sogar die F 117A 'Stealth' entdecken." Trotz bester Sicht bleibt uns der Tarnkappen-Bomber verborgen. Logisch eigentlich. Die Exponate des Space Museum huldigen der Liaison zwischen Militär und Astronautik. Den Sputnik-Schock hat man bis heute nicht verwunden, und nach hiesiger Diktion "eröffneten Russen und Amerikaner fast zeitgleich, Ende 1957 und Anfang 1958, die Ära der Raumfahrt".

Obgleich ein Dutzend Straßen durch White Sands führt, ist uns der Weg versperrt. Allerorten heißt es "Road closed to public". Das White Sands Missile Range, das Raketentestgelände, beschert uns einen Umweg von hundert Meilen. Weiter nördlich befindet sich zudem Trinity Site; hier detonierte am 17. Juli 1945 die erste Atombombe. Die Versuche verlegte man später nach Nevada. Trotzdem wird das Gelände nur zweimal im Jahr für Besucher geöffnet. Die heutigen Aktivitäten des Militärs umnebelt der weiße Sand.

Jenseits der Grenze zu Arizona fahren wir nordwärts zum Grand Canyon. Wenige Meilen davor ragen dicht an der Straße unvermittelt Leitwerke in den Himmel. Einen Flugplatz kennt die Karte nicht, doch da stehen eindeutig eine viermotorige Constellation, eine MiG 15 mit rotem Stern am Heck und sonstiges militärisches Fluggerät aus den 50ern. Dem Wegweiser zufolge sind wir in einem Ort namens Valle und parken direkt vor dem Planes of Fame Air Museum, Grand Canyon. Es ist kalt und stürmisch, und wir sind die ersten Besucher heute. "Hi, I'm Shirley", begrüßt uns eine forsche Uniformierte von Mitte Vierzig. "Where are you guys from? Germany? Great!" Man habe sogar eine völlig intakte Me 109. Die Me 109 ist nicht der einzige Nazi-Jäger im Hangar. Wir kommen nicht umhin, für eight bucks each die hochbeinige Constellation zu erklimmen, wo uns Shirley einen patriotischen Vortrag über General Douglas McArthur hält, dessen Befehlsstand die Maschine im Koreakrieg gewesen sei. Was, wir kommen aus Berlin? Hey guys, dieses Exemplar flog 1948 seine ersten Einsätze während der Blockade! Nach einer Stunde verabschieden wir uns von Shirley und ihrem Kriegsgerät. Wir sollten bald wiederkommen, die Sammlung werde ständig erweitert. Aber daß wir die Kamera im Auto gelassen hätten ... "Shame on you!"

Eine Woche darauf haben wir eine riesige Schleife hinter uns, sind zwischen Chama und Antonito der Schmalspurtrasse der historischen Cumbres & Toltec Railroad ins tiefverschneite Colorado gefolgt und begeben uns nun südwärts nach Los Alamos zum Appartment meines Freundes, um für die Rückreise zu packen. "Lost in Alamos", witzelt mancher der 18.000 Einwohner; die Stadt ist ein größeres Dorf; die örtliche Bank das repräsentativste Gebäude. Seit 1957 ist LA wieder "open to public"; an die Zeit davor erinnern ein Front und ein Back Gate. Die Kontrollposten sind verwaist, jedoch künden beiderseits der Hauptstraße blaue Tafeln von -zig hinter Stacheldraht und Schlagbäumen verborgenen Tech areas. Militärische und zivile Forschung stehen in LA im Verhältnis von zehn zu eins. Derzeit sind die Los Alamos National Laboratories des Energieministeriums – erstmals nach über 40 Jahren – unmittelbar an der Waffenproduktion beteiligt. Man baut H-Bomben-Zünder in Serie.

Wir verlassen Los Alamos in Richtung Santa Fe und Albuquerque. Die grandiose Landschaft mit ihren Wäldern, dem riesigem Wildbestand und arglosem Vogelgezwitscher machte den Eindruck eines friedlichen Naturparadieses, würde nicht ein Schilderwald die Idylle stören: No trespassing! – Betreten verboten! – ist das häufigste. Konkreter und ein wenig süffisant wird es bei Danger! Weapons Fire Range! Trespassing may cause injuries. Herzhaft ist hingegen die Warnung Danger! Explosive Trucks! Da eine Empfehlung fehlt, was beim Auftauchen oder gar der Explosion besagter Laster zu tun sei, beschließen wir, ihnen nach Möglichkeit auszuweichen. Ebenso wie den Mülltonnen mit der Aufschrift Radioactive Waste Only!

Auf dem Flug nach Europa vermeldet das Bord-TV, der Rüstungsmulti Northrop schlucke nach seinen Konkurrenten Grumman und Vought 1994 und der Militärsparte von Westinghouse 1996 nun einen weiteren Rüstungskonzern. Kurz zuvor erst hatten Boeing und McDonnel Douglas ihre Fusion annonciert, nachdem sich Lockheed mit Martin Marietta vereinigt hatte. Auf einem anderen Kanal läuft ein Beitrag über den Export gebrauchter Waffen. Das Pentagon verschleudere modernste Jagdbomber an die Dritte Welt, empört sich der US-Steuerzahlerbund. Dessen ernste Besorgnis rührt einzig aus der Vermutung, daß das wertvolle Material, anders als einen selbst, die Ägypter keinen einzigen Steuercent koste. – Obgleich zu begrüßen sei, daß durch die damit verbundenen Neu-bestellungen der Air Force die Konjunktur spürbar angekurbelt werde.

Erschienen in die tageszeitung, 22. Februar 1997

 

Die hier lesbare Reportage ist übrigens die Originalfassung; das taz-Reiseressort versah das saubere Manuskript zielsicher mit einigen Fehlern und setzte die reißerische Überschrift "Zum Beispiel Roswell" darüber.