Eike Stedefeldt

Sündiges aus der deutschen Luftfahrt

Die Beine der beiden Models reichen fast bis zum Hals, verlieren sich aber vorher in einem samtenen blauen Rock. Boleros gleicher Färbung mit Schulterstücken, strahlend weiße Blusen, auf den blonden Mähnen ein freches Schiffchen, ebenfalls in Blau. Aus den Lautsprechern klingt In The Mood, und plötzlich umweht uns ein nostalgischer Hauch von Andrews Sisters und Fox Tönende Wochenschau. — Doch nein, wir befinden uns auf keiner hauptstädtischen Modemesse. Wenngleich das, was Fotograf und Gehilfe da ins Bild zu setzen trachten, sehr wohl ein Dauer- oder dem Thema der Veranstaltung angemessener: ein Nachbrenner ist, der insbesondere der männlichen Bevölkerung den Kopf zu verdrehen imstande ist. Und zwar im Wortsinne: Wir stehen in brütender Sonne auf dem heißen Rollfeld des Flughafens Berlin-Schönefeld, die Messe heißt Internationale Luftfahrtausstellung Berlin '98, und der irre Typ, dessen phallischer Spitze sich die hochbestelzten Damen lasziv entgegenrecken, ist ein russischer Kampfjet der Bauart MiG 29, im Einsatz auch bei der hiesigen Luftwaffe. Natürlich ohne den roten Stern am Heck.

Doch lange ist unseres Bleibens nicht am Set, denn im Hintergrund schwenkt soeben eine preußische Militärkapelle mit glänzenden Pickelhauben und Schleppsäbeln im Gleichschritt in den offenen Hangar des kanadischen Konzerns Bombardier Aerospace ein. Firmenname wie Kapelle lassen einen Mordsspaß vermuten, doch weit gefehlt: Bombardier kann zwar — wie alle wirklich Großen auf dieser "europäischen Leitmesse des Jahres" — auch ganz anders, aber hier gibt man sich betont zivil. Wer immer in der Halle als "Offizieller" eingestuft wird — das Presseschild am Revers läßt auch uns diese Ehre zuteil werden —, den laden umsichtige Hostessen dazu ein, bei einem Glas Sekt der Präsentation der neusten Canadair Challenger beizuwohnen. Es ist drückend, und der Sekt gut gekühlt.

Mittdreißiger in dunklen Zweireihern und bunten Krawatten smalltalken, eine Hand stets nonchalant in der Hosentasche, an der Gangway jener Maschine mit der noblen Firmenlackierung; das gemeine Volk zieht unterdessen in gebotenem Abstand hin zur Linienkollegin im ordinären Lufthansa-Look. Man weiß, wo man hingehört.

Noch ist unser Glas nicht leer, da läßt sich von draußen aviatisches Gerät ganz anderen Ausmaßes vernehmen. Wie eine graue Wand schiebt sich ein gewaltiges Transportflugzeug dröhnend in Richtung Startbahn. Die Erfahrung lehrt: Dieses ist ein Aeroplan aus den USA. Russen und Ukrainer stellen ihre Riesenfrachter stets in unschuldigem Weiß zur Schau. "Klar", belehrt uns ein Sachkundiger, während die Boeing C 17 Globemaster langsam, auf-fallend leise und insgesamt recht bedrohlich über dem Flugfeld kreist, "die Russen sind arme Schweine, die müssen ihr Zeuch verkoofen uff Deubel komm raus. Die Amis woll'n nur ihre Macht demonstrieren". Nirgendwo lasse sich der Wandel von Konfrontation zum friedlichen Wettbewerb so sehr mit Händen greifen wie auf dieser Messe, hatte Bundespräsident Roman Herzog noch Tags zuvor bei der Eröffnung zu sagen gewußt. Wir beschließen, einstweilen dem amtierenden Christenmenschen zu glauben, auch wenn die Bemerkung des Experten zuzutreffen scheint.

Verglichen mit der wuchtigen C 17 wirken die kühnen Sportflieger weitaus angenehmer. Waghalsige Kunststücke tragen sich dort oben zu, und uns kommt in den Sinn, welch grandiose ingenieurtechnische Leistungen der Traum vom Fliegen doch im Laufe der Jahrzehnte hervorgebracht hat. Inmitten grauer Phantoms, Tornados, MiGs und Suchois, SAABs und Mirages stehend — die, sobald sie lärmend den Himmel erstürmen, alle nahezu gleich aussehen —, geben wir uns der Faszination eleganter kleiner Reiseflugzeuge hin, die ebenfalls rasante Loopings drehen. Es würde kaum wundern, wenn selbst der hier eindrucksvoll beworbene Airbus A 340 derlei schadlos überstünde.

Indes, umgeben von all dem zuweilen recht gesundheitsschädlichen Zubehör bleiben wir weitgehend allein mit unserem naiven Staunen über Spiralen und Loopings. "Eh, guck mal, da drüben sind echte Stingers!" verkündet ein wirkliches Kind seinen Freunden aufgeregt die Entdeckung gleichnamiger Lenkraketen. "Total geil, Mann!" kommt es begeistert zurück. "Haste schon die Drohne da drüben gesehen?" Zielstrebig laufen die Kids, das unbemannte Flugobjekt mit der für Nichteingeweihte wenig vertrauenerweckenden Bezeichnung zu bewundern. "Luna X, Sechzehn 24" hören wir noch aus dem Munde des Anführers der kleinen Bande. Irritiert über den Gehalt dieses Codes grübelnd, können wir lediglich kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, daß die gemächliche Formation von, salopp ausgedrückt, fünf schwebenden Motorrollern aus der Schweiz heutige Jugendliche kaum mehr zu beeindrucken vermag. Erst Stunden später, um 16.24 Uhr, wird sich uns übrigens das kleine Rätsel erschließen, exakt dem Moment, da die Drohne Luna X der Deutschen Bundeswehr zur allseits bewunderten Vorführung startet.

Ein besonderes Schauspiel kündigt "Radio ILA" jedoch bereits um 13.37 Uhr an: Die werten Besucher mögen sich gedanklich in einen brennenden Wald versetzen, in dem Feuerwehrleute vom Feuer eingeschlossen, mithin in Lebensgefahr seien. In solch prekären Lagen kann, wir ahnten es, nur die Bundeswehr helfen, der — wir ahnten auch dies — vordem noch die ehrenvolle Aufgabe obliegt, das nötige Ungemach selbst herbeizuführen. Flugs rauschen drei Heeres-Hubschrauber der Typen Bo 105, UH-1D und CH 53 an, um dem Desaster Einhalt zu gebieten. Reichlich Wasser stürzt vom wolkenlosen Himmel, und am Ende erretten, für alle sichtbar, Herrn Ministers freundliche Trachtenjungs die armen Brandschutzhelfer vorm sicheren Tode. — Ein gelungenes Volksstück in Oliv. Applaus? Kein Applaus.

Der fällt erst den ohrenbetäubenden Steig- und Sturzflügen einer weiteren grauen, vor allem jedoch deutschstämmigen High-Tech-Maus zu, genannt Eurofighter. Das Produkt war am Vormittag Gegenstand eines mit Personal aus Bundestag und Industrie exklusiv besetzten Pressegespräches, das sich dem Abwägen zwischen militärischer Notwendigkeit und Bedeutung für den Standort Deutschland widmete. Doch seien Sie beruhigt, verehrte Leserinnen und Leser: Der Eurofighter geht in Serie. Man hat, zumindest auf besagtem Pressegespräch, nichts Gegenteiliges beschlossen. Ihre jetzigen Arbeitsplätze sind also sicher. Nur deren mehr wer-den es leider nicht, sorry, denn steigende Umsätze vertrügen angesichts der "extremen Konjunkturzyklen der Branche" lediglich "verhaltenen Personalaufwuchs", wie solche Marginalien in der charmanten Firmensprache von Daimler-Benz Aerospace (DASA) umschrieben werden.

Gratulieren wir statt dessen lieber Manfred Bischoff, dem rührigen Präsidenten des Bun-desverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, der anläßlich der Eröffnung der ILA '98 frohlocken durfte, die rund hundert Unternehmen seines Verbandes hätten bis zum Jahr 2000 ein Umsatzplus von mindestens 20 Prozent und "sich weiter erfreulich entwickelnde Gewinne" zu erwarten.

Wie auch anders? Längst produzieren schon, nachzulesen im Messejournal "Show News", Rolls Royce, MTU, FIAT-Avio und die spanische ITP vertragsgemäß, das heißt für läppische 8 Milliarden US-Dollar, 1.500 Turbinen des Fabrikats Eurojet 2000, vorgesehen zum Einbau in 620 bestellte Jagdbomber. Die Frage nach dem praktischen Nutzwert derselben sollte Ihnen ebenfalls nicht den Schlaf rauben: Um sinnvolle Einsatzorte war man hierzulande, hatte man derlei Gerät erst einmal beschafft, selten verlegen. Man hat doch Tradition. Oder mit den sensiblen Worten einer Bildunterschrift in Show News: "Back in the fighter business: Eurofighter continues a long tradition in Germany." Auf dem zugehörigen Foto begegnen uns, ganz Tradition, ein Eurofighter sowie eine voll flugtaugliche Messerschmidt Me 109 in originalgetreuer Tarnung. Nur das Hakenkreuz hat man bei der Restaurierung wohl vergessen.

Bevor wir unseren ILA-Bummel beenden, legen wir noch ein Stop over am Zelt des Roten Kreuzes ein, vor welchem uns ein großer, lädierter Teddybär zur Obacht gemahnt: "Mit Landminen verlierst du spielend ein Bein." Mit der Hand weisend auf Bär und umherstehen-des Kriegsmaterial, fragen wir den Standbetreuer, wie er sich denn wohl fühle angesichts all dessen. "Wir helfen bei allen Katastrophen", gibt er an, "egal, ob bei Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten". Mit diesen modernen Hubschraubern und Transportflugzeugen und besonders diesem neuartigen Modulsystem des DRK für Hilfseinsätze könne man doch heutzutage weitaus schneller reagieren und einiges mehr für die Opfer ausrichten, bei Erdbeben zum Beispiel oder Unwettern wie gerade in Italien. "Katastrophenschutz weltweit" lesen wir auf seinem weißen T-Shirt. Die Slogans der Bundeswehr klingen inzwischen ähnlich humanitär. Vielleicht ist aber auch nur die eine Branche Geschäftsgrundlage der anderen? Wie stand doch gleich auf der offiziellen Pressemappe zu lesen: "ILA means business." Eben.

Erschienen in Ossietzky (Hannover) Nr. 10 vom 30. Mai 1998

Noch einen?

Der Titel "Sündiges aus der deutschen Luftfahrt" ist im übrigen eine Reminiszenz an die historische Weltbühne und ihren Herausgeber Carl von Ossietzky. Dieser wurde wegen eines Artikels mit dem Titel "Windiges aus der deutschen Luftfahrt", der die laut Versailler Vertrag verbotene Luftrüstung Deutschlands enthüllte, des Hochverrats angeklagt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Bis heute weigert sich die deutsche Justiz, dieses Urteil gegen den Pazifisten und Friedensnobelpreisträger aufzuheben.