Schwule Macht

oder Die Emanzipation von der Emanzipation

  Rezension aus Volksstimme (Wien) Nr. 27 vom 2. Juli 1998


Korrektiv des Mainstreams

"Schwule Macht oder Die Emanzipation von der Emanzipation". Eike Stedefeldts Befund der deutschen Schwulenbewegung — Abschied nicht nur von schwulen Utopien

"Die sogenannte zweite deutsche Schwulenbewegung, die Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre aus einer allgemeinen, stark sozialistisch geprägten, gegen kleinbürgerlichen Mief, Militarisierung und kapitalistischen Obrigkeitsstaat aufbegehrenden Protestbewegung geboren wurde, definierte schwule Emanzipation als in Infragestellung aller tradierten Verhältnisse, ein Aufbegehren gegen Machtstrukturen und als Negierung eines heterosexuell geprägten Verhaltenskodex. Knapp dreißig Jahre danach — und verstärkt seit der Einverleibung und Paralysierung der schwulenpolitischen Ansätze aus der DDR — reklamiert ihr tonangebender bürgerlicher Teil unter dem Signum Emanzipation nur mehr das Recht, genau diese heterosexuelle Normierung detailgetreu kopieren und sich in die gegebenen Strukturen einfügen zu dürfen."

Das ist der Befund, zu dem Eike Stedefeldt in seinem Buch "Schwule Macht oder Die Emanzipation von der Emanzipation" gelangt. In acht durchwegs gründlich recherchierten, plausibel argumentierten und gut geschriebenen Kapiteln zeigt er auf, wie sich in letzten zehn Jahren das Selbstverständnis schwuler Politik Zug um Zug, Thema für Thema von links nach rechts bewegt hat — von der emanzipatorischen Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zur kritiklosen Integration in genau diese.

So wurde etwa laut Stedefeldt ein "Abschied von der emanzipatorischen Lebensformenpolitik" durch die von den heterosexuellen Medien begeistert aufgegriffene Forderung nach der "Homo-Ehe" vollzogen. An die Stelle einer nicht zuletzt im Anschluß an die Frauenbewegung geübten Kritik eines Ungleichheiten und Abhängigkeiten festschreibenden Rechtsinstituts ist der Wunsch nach gutbürgerlicher Wohlanständigkeit getreten, die ohne staatliche sanktionierte Zweierbeziehung samt Steuervorteilen eben nicht zu haben ist. Obwohl die meisten Schwulen (und Lesben) für sich die "Homo-Ehe" ablehnen, haben selbsternannte Lobbyisten es geschafft, den "Wandel von der progressiven Lebensformen- zur rückwärtsgewandten Ehepolitik" zu vollziehen und haben so ein Thema, das für die Mehrheit der angeblich Betroffenen gar keines ist, als zentrales schwulen- (und lesben-)politische Anliegen im öffentliche Bewußtsein verankert. Dabei werde, so Stedefeldt, "eine konservativ denkende, der tradierten Lebensform Ehe verhaftete heterosexuelle Mehrheit für die Ziele einer kleinen Minderheit der Homosexuellen (mobilisiert)". Gerade an diesem Beispiel diagnostiziert Stedefeldt den "Abschied nicht nur von schwulen Utopien, sondern von jeglicher Art schwuler Subversivität". Zustimmend zitiert er den Hamburger Journalisten Günther Jacob: "Wer nicht mehr will, als mit seinen Besonderheiten in Ruhe gelassen zu werden, wer gar diese Gesellschaft so, wie sie ist, in einer Community-Miniaturausgabe nachbildet, stärkt die andere Seite. Und viele wollen gar nicht mehr als weibliche Polizisten oder standesamtlich getraute Schwule."

Im Abschnitt "Farewell to Stonewall!" demonstriert Stedefeldt die "Entpolitisierung des Christopher Street Day" unter anderem anhand der Versuche der jeweiligen Veranstalter der medienwirksamen CSD-Paraden, die Mitwirkung solcher Gruppen zu verhindern, die nicht bloß Integration und Spaß fordern, sondern statt dessen "an der politischen Tradition des Christopher Steet Day festhalten und auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen drängen". Daß dabei 1994 in Bremen "bürgerliche Schwule (...) erstmals die Polizei auf linke Schwule hetzten", fand 1997 in Berlin Nachahmung. Die Entpolisierung und Verspießbürgerlichung durch die "Lobbyisten der Fun-Fraktion" zeugt allerdings von völliger Ignoranz gegenüber dem, woran doch mit dem CSD erinnert werden soll: "Denn natürlich begann der Aufstand, den 1969 eine Razzia in der New Yorker Schwulenbar Stonewall Inn auslöste und der zum Initial für die weltweite Emanzipationsbewegung Homosexueller wurde, nicht mit politischen Losungen. Sein Charakter war aber allemal politisch, und er hatte sehr wohl mit Rassismus und Sexismus zu tun. Denn es waren nicht die gutsituierten, weißen, bürgerlichen Mittelstands-Schwulen des Künstlerviertels Greenwich Village, die Razzien zu fürchten hatten. Die saßen unbehelligt in ihren schicken Cafés und Bars. Im eher bescheidenen Stonewall Inn trafen sich dagegen die Ausgestoßenen der Gesellschaft, die Schwarzen, die Latinos, die Stricher, die Transsexuellen, und es waren auch lesbische Frauen, die sich als ebenfalls massiver körperlicher Repression der Polizei unterliegende Minderheit schlagkräftig mit ihnen solidarisierten."

Entpolitisierung und Geschichtsvergessenheit weist Stedefeldt auch bei anderen Themen nach. Etwa am allzu verharmlosenden Umgang mit der Fetischisierung nazistischer Symbolik bei manchen Lederkerlen und Tom-of-Finland-Fans; an der Verkärung der durchaus fragwürdigen Charlotte von Mahlsdorf zur bundesverdienstbekreuzten Kultfigur; am peinlichen Versuch, sich durch Kranzabwurf an der Neuen Wache in Berlin an die Vergangenheitsentsorgung à la Kohl ranzuschmeißen; und nicht zuletzt am oft durch keinerlei Kenntnis getrübten (West), sich häufig als Erinnerungsumgruppierung (Ost) ereignenden Umerzählen der Geschichte der Homosexuellen in der DDR.

Entsolidarisierung und politische Schamlosigkeit kennzeichnen darüber hinaus auch integrationswütige Vereinigungen, die in dieser Form erst in den Neunzigern realisierbar geworden sind. Etwa den Aufsteigerklüngel "Bundesverband Gay Manager (Völklinger Kreis)", bei dem "die bürgerliche Schwulenpolitik (...) eine Liaison mit dem schwulen Kapital eingegangen (ist)", oder den postpazifistischen "Bundesarbeitskreis Schwuler Soldaten (BASS)". Antikapitalismus, Antimilitarismus oder Patriarchatskritik sind nicht mehr gefragt.

So muß Stedefeldt unter dem Titel "Die fröhliche Wüste" denn auch die inhaltliche "Verödung der schwulen Presselandschaft" in der BRD feststellen. Zwar "erscheinen (...) an die hundert (Lesben- und) Schwulenblätter, und ihre Gesamtauflage war mit mehreren hundertausend nie so hoch wie heute", aber "der Schwulenszene (...) sind ihre großen Medien zu anzeigenfinanzierten Veranstaltungskalandern verkommen — oder werden gleich als solche gegründet". (Auch in Österreich gibt es ja diese "gratis verteilten Anzeigeblätter im Zeitungsformat", beispielsweise "Xtra", und auch hierzulande verweisen sie auf den "dramatischen Verfall" politischen Selbstverständnisses.)

"Die deutsche Schwulenbewegung hat sich seit 1989 deutlich nach rechts bewegt. Sie befindet sich heute nicht mehr am links-alternativen Rand der Gesellschaft, sondern agiert voller Stolz in deren Mitte. Verbrämt durch Schlagworte wie 'Bürgerrechtsbewegung' und 'schwule Lobbypolitik', dient sie sich in immer stärkerem Maße konservativen Kräften an, während die Abgrenzung nach links schärfer wird. Sie vollzieht dabei die generelle Rechtsdrift in nahezu all ihren Facetten nach und ist selbst gegen eine Öffnung hin zu rechts außen operierenden Figuren sowie deren Gedankenwelten nicht mehr grundsätzlich immun."

Das ist aber nicht von ungefär so gekommen. Neben der allgemeinen Entwicklung nach dem Mauerfall und der Verkündung der neuen Weltordnung gehört dazu insbesondere auch die Tätigkeit des "Schwulenverbandes in Deutschland", einer ostdeutschen Gründung, die bald von westdeutschen Karrieristen übernommen wurde. "Der Drang nach Respektabilität führte zwangsläufig zu einmer Ausrichtung der Politik nach oben hin, verbunden mit der weitgehenden anpassung ans Gegebene und letztlich einer Entradikalisierung." Die Anbiederungspolitik des SVD, vor allem seines bekanntesten Exponenten, Volker Becks, an Bündnis 90/Die Grünen, aber auch an SPD, FDP und sogar die CDU, bewirkte, in Verbindung mit geschickter, am Geschmack des heterosexuellen Mehrheit orientierter Öffentlichkeitsarbeit, daß "nicht nur andere Themen" als die vom SVD lancierten, "sondern auch entgegengesetzte Positionen (...) kaum noch ein mediales Echo (fanden)". Was das in der Mediendemokratie bedeutet, ist wohl klar.

"Ob die in den Hintergrund gedrängten Protagonisten einer von sozialistischen Elementen geprägten Alternativszene sich nach einer womöglich notwendigen Phase der Abstinenz in absehbarer Zeit noch einmal zu einem relevanten Korrektiv des homosexuellen Mainstreams formieren können, ist derzeit ungewiß. Daß das Bedürfnis nach Überwindung ihrer organisatorischen wie inhaltlichen Schwäche wächst, ist allerdings unverkennbar." Eike Stedefeldt stellt der deutschen Schwulenbewegung daher nicht nur eine Defizite und Deformationen nachweisende Diagnose, er schlägt ihr auch eine Therapie vor: "Das Koma des linken Szenespektrums, das die eigentliche Stärke der Bürglichen ausmacht, ist indes wohl allein unter Rückbesinnung auf theoretisches Rüstzeug und politische Radikalität der 70er und frühen 80er Jahre zu überwinden." Stedefeldts Wort in aller (auch der österreichischen) Schwulen Ohr!

Stefan Broniowski

Eike Stedefeldt: Schwule Macht oder Die Emanzipation von der Emanzipation, Berlin (Elefanten Press) 1998


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