Triumph der Dummheit

 

Daß zuviel Fernsehen auch Lesben erst prominent, dann politisch korrupt und schließlich doof macht, die es vorher womöglich nicht waren, ist – Alice Schwarzer sei meine Zeugin – wenig bekannt. Daß sich willig ans unterste Ende der televisionären Nahrungskette zu begeben ganz schlimme Folgen zu zeitigen vermag, beweist in der aktuellen Ausgabe des Dortmunder Szeneblattes rosa zone die als Darstellerin bekannt gewordene Hella von Sinnen.

"Mir ist völlig unklar, wie jemand dagegen sein kann. Ich kenne die Argumente der Anderen aber noch nicht und muß mir die erstmal anhören." Letzteres hätte sie tun sollen, bevor sie die erstaunliche Idee hatte, "mit einem sehr politischen Motto die Parteien unter Zugzwang zu setzen" (rosa zone). Von Sinnen ist es um Gleichberechtigung, um das Einklagen eines Menschenrechts" zu schaffen, dessen Durchsetzung wiederum "ein fast so großer Schritt wie die Einführung des Frauenwahlrechts" wäre, weshalb sich die üppige Blondine erst recht "nicht vorstellen kann, daß Frauen allen Ernstes dagegen sein können, daß wir diese patriarchale Bastion erstürmen."

Welche von Feministinnen unentdeckt gebliebene Bastion mag es sein, in der sich eine "angeborene, unveräußerliche Grundfreiheit" verschanzt hat, mithin eines jener Rechte, die laut Lexikon "dem einzelnen nicht auf Grund staatl. Verleihung, sondern kraft seines Menschseins zustehen"? Es handelt sich, oho!, um jenes, die traute Zweisamkeit mit einem Menschen des selben Geschlechts auf den Anstandsämtern der Bundesrepublik Deutschland offiziell bestätigen und sich für diese – und allein diese – Daseinsform fiskalisch-moralisch entschädigen zu lassen.

"Grünes Licht für rosa Ehe" heißt folglich das Motto, und die Farbe der Hoffnung ist es auch, von der sich von Sinnen – "Ich glaube an die Liebe und daran, daß der Mensch gerne zu zweit durchs Leben geht" – dieses neueste aller Menschenrechte erhofft. Der Instinkt, daß die aktuelle Definition derselben sich bevorzugt in der Nähe der Macht aufzuhalten pflegt, muß mitsamt der Haarfarbe in Frau von Sinnens Kopf diffundiert sein: "Wir", also Lesben und Schwule, "sind ein Machtfaktor in Deutschland und müssen den Politikern im Wahljahr 1998 die rosa Pistole auf die Brust setzen. Nur wer für die Homo-Ehe ist, wird von uns gewählt und unterstützt. Basta!"

Das Brustbild ist eine illustratorische Glanzleistung; der rosa Schuß trifft exakt in die Herzen jener feministischen Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, die dreißig Jahre lang weitgehend daran scheiterten, den Frauen klarzumachen, daß Emanzipation nicht in, sondern nur von repressiven Systemen denkbar ist. Unbeschadet jeder Patriarchatskritik, knallt eine von Sinnen ihnen heute Sätze ins Dekolleté wie: "Auch wenn man gegen die Ehe ist, hat doch jeder die Freiheit, zu sagen: Ich heirate nicht!" Sich von der Einordnung in den konservativen Wertekanon mit der Steuerklasse I loskaufen zu müssen, ist fürwahr eine schöne Freiheit. Oder mit den von Sinnens Worten. "Für den Feminismus wäre es doch ein geradezu revolutionärer Triumph, wenn Frauen für Frauen das Aufgebot bestellen könnten."

Eike Stedefeldt

 

Der Beitrag entstand im Januar 1998 für die rosa zone – so hieß damals die heute in Köln erscheinende Homo-Boulevardzeitung QUEER. Um sich inhaltlich davon zu distanzieren und das Honorar zu sparen, wurde er als Leserbrief abgedruckt. Die Hoffnung ist unbegründet, das Blatt sei seitdem seriöser geworden.