Edelmütiger Mißbrauch

Maxi Wartelsteiners Sicht auf einen Rosa-Winkel-Häftling

Wie der rote Winkel politische und der grüne kriminelle, so markierte der rosa Winkel in den Nazi-KZ homosexuelle Häftlinge. Doch mangelt es bis heute an Aufzeichungen inhaftierter Schwuler. Mit "Rückkehr unerwünscht" nun zeichnet die Journalistin Maxi Wartelsteiner das Schicksal des ehemaligen Rosa-Winkel-Mannes Walter S. nach.

Der damals 26jährige wurde 1940 im Leipziger "Burgkeller" wegen "Wehrkraftzersetzung" denunziert. Daß die Gestapo Briefe eines Geliebten fand, brachte S. vier Jahre Sachsenhausen und Groß-Rosen ein. Die Autorin schildert S.' Hafterlebnisse: den Sadismus der Wachmannschaften, Hunger, TBC und Thyphus, die überlebte Testvergasung, die mörderische Zwangsarbeit. Nachvollziehbar wird auch die Einsamkeit der Schwulen, die keinerlei Gruppenidentität besaßen und in der Lagerhierarchie das Letzte waren.

Obwohl die Erinnerungen eingebettet sind in die Beschreibung von Walter S.' Nachkriegsdasein und seine heutigen Lebensumstände, bleibt seine Persönlichkeit diffus. Wartelsteiner begnügt sich nicht mit der Wiedergabe von S.' Berichten. Statt ihn selbst zu Wort kommen zu lassen, moralisiert sie eifrig und ist mit penetranter Selbstbespiegelung stets im Text präsent. Arglos wird ein für sich stehendes Schicksal zugeschüttet mit den Schuld- und Sühnekomplexen einer heterosexuellen Frau, die einst den Suizid eines schwulen Kommilitonen nicht vereiteln konnte.

Da häufen sich "positive" Klischees. Etwa, "daß Frauen ein unerschrockeneres Verhältnis zu Schwulen haben als heterosexuelle Männer (...) Mit ihnen läßt sich über alles reden, sie sind warmherzig und voller Komplimente und Liebenswürdigkeiten für die Freundin – und ganz ohne Eifersucht." Daß Schwulsein keiner Rechtfertigung bedarf, ist der Autorin fremd; sie steigert sich in eine regelrechte Legitimationsorgie, bei der über Kaiser, Könige, Heerführer und Piraten ("sie alle liebten nur Männer – und waren trotzdem tapfere Männer") bis hin zu "leidenschaftlich onanierenden Affen" alles und jeder halbwegs Taugliche herhalten muß. Selbst "ein schwules Erpelpärchen".

Peinlich sind Faktenfehler wie beim "immer noch wie 1933 formulierten 175er des BRD-Strafrechts" oder Stilblüten der Art, das Strafrecht habe "in seiner Geschichte immer wieder Gesetze gegen Homosexualität ausgebrütet". Schwulsein ist für die Leipzigerin keineswegs normal, was sich z.B. zeigt, wenn sie über die Begegnung mit Schwulen schreibt: "Und so traf ich sie denn auch nicht im Bett bei brutalen Orgien ..." oder meint, schwule Liebe würde oft "ordinär, pervers, mit Fäusten im After und was sonst für krankhaften Geistesauswüchsen beschrieben." Einvernehmliche Sexualpraxis als krankhafter Geistesauswuchs – das läßt einen bei diesem Thema genauso schaudern wie Wartelsteiners Unterscheidung in "rank und schlank und schön oder dick und glatzköpfig".

Wie resistent jenes "ewig gesunde Volksempfinden" ist, unterstrich sie darüber hinaus unfreiwillig bei einer Lesung im Berliner Buchladen "Prinz Eisenherz". Ob in der DDR alle KZ-Überlebenden Ehrenpensionen erhalten hätten, fragte ein Gast. "Ja", so Wartelsteiner, "aber was die Kriminellen angeht, die mit dem grünen Winkel, da will ich doch hoffen, daß sich da nicht einer durchgemogelt hat."

Eike Stedefeldt

Maxi Wartelsteiner: Rückkehr unerwünscht. Schwul-Sein und das ewig gesunde Volksempfinden. GNN Verlag Sachsen, Schkeuditz 1995, 176 Seiten, 19,80 DM

Erschienen in Neues Deutschland, 12. Januar 1996