Wg. Platzmangel


"Sehr geehrte Frau Stedefeldt, vielen Dank für Ihr Interesse am Jüdischen Museum Berlin", begann am 6. November Eva Södermann, Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des im September eröffneten Daniel-Libeskind-Baus, ihre Antwort auf eine journalistische Anfrage, die es verdient, vollständig dokumentiert zu werden:

"Wir werden häufig darauf angesprochen, daß Karl Marx und Rosa Luxemburg kaum bzw. gar nicht in der Ausstellung vorkommen. Wir haben bei der Zusammenstellung der Ausstellung, die auf 3000 qm Ausstellungsfläche zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte darstellt, vieles auslassen müssen bzw. nur kurz anreißen können, das eigentlich breiteren Raum füllen könnte. Doch wir haben nur eine begrenzte Fläche und haben daher schwierige Entscheidungen treffen müssen. Ganz sicherlich hat jeder Besucher und auch jeder Rezensent die eine oder andere jüdische Persönlichkeit im Kopf, die ihm/ihr besonders wichtig ist, und findet andere aus unserer Ausstellung dafür verzichtbar. Uns war es wichtig, eine Mischung aus prominenten und nichtprominenten Persönlichkeiten in der Ausstellung zu präsentieren. Was die Linke in Deutschland anbelangt, haben wir uns entschlossen, diese anhand der Beispiele von Ferdinand Lassalle und Eduard Bernstein im Ausstellungssegment 'Der Kampf um die Emanzipation' darzustellen. Das ist sicher nur ein kleiner Ausschnitt aus der linken und sozialistischen Bewegung in Deutschland, wie uns sehr wohl bewußt ist, doch wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit - dieser konnte auch gar nicht eingehalten werden - und können viele Themen nur anreißen. Hinzu kommt, daß Figuren wie Karl Marx und Rosa Luxemburg nicht so leicht verkürzt darzustellen sind, da ihre historische Rolle viele Themen beinhaltet und sie eigentlich ein Ausstellungsthema für sich darstellen, wenn man ihnen gerecht werden will. Vielleicht werden wir dazu mal eine eigene Wechselausstellung machen. Keineswegs resultiert dies jedoch aus der von Ihnen unterstellten 'stark von US-amerikanischen Museumskonzepten inklusive ihres latenten Antikommunismus und in den USA oft zu beobachtenden (das Publikum intellektuell nicht überfordernden, sondern eher sanft agitierenden) Gut-Böse-Schemas geprägten Anlage der Exposition'. Diese Unterstellung ist in meinen Augen ziemlich weit hergeholt. Wenn Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung."

Keine Fragen mehr, wir sind beruhigt. Natürlich ist kein Antikommunismus im Spiel, wo auf 3000 qm für den Namen Marx der Platz fehlt, den Platz des herausragenden deutsch-jüdischen Nationalökonomen aber Professor Franz Oppenheimer (1864-1943) belegt, welcher sich bevorzugt mit Schriften hervortat, die sich anheischig machten, Marx' Mehrwert-Theorie ad absurdum zu führen und der bis heute als "Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft" gefeiert wird. Autor des 1964 erschienenen Buches "Franz Oppenheimer, dem Lehrer und Freund" war übrigens der damalige deutsche Bundeskanzler und Kommunistenfreund Ludwig Erhard (dessen sozial-marktwirtschaftliche Denkschrift "Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung" von 1944 seinen heute unweit des Jüdischen Museums im SPD-Partevorstand residierenden Genossen Scharping (Kriegsminister) und Eichel (Finanzminister) aus aktuellem Anlaß dringend empfohlen sei.

Betreffend die nächste der - siehe oben - häufigen Anfragen nach Rosa Luxemburg, jener "nicht so leicht verkürzt darzustellenden" und darum lieber ganz verschwiegenen Leiche im keine 200 Meter entfernt plätschernden Landwehrkanal, sollte Frau Södermann demnächst glaubwürdig versichern, besagte Marxistin sei leider Polin gewesen und passe somit weniger zur "Reise durch zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte".

Überhaupt nichts fiel Frau Södermann leider zu dem deutschen Dichter schlechthin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein - auch nach dem war journalistisch gefragt worden, da ihm die Exposition lediglich ein paßbildgroßes Porträt ohne jeden Hinweis auf seine Bedeutung zugesteht. Bekanntlich war Hegels Schüler Christian Johann Heinrich Heine seit 1844 mit einem Herrn Marx aus Trier befreundet, dessen engster Freund wiederum, ein Herr Engels zu London, sein Gedicht "Die schlesischen Weber" ins Englische übertrug. Dazu, liebe Frau Södermann, sagen Sie demnächst am besten: "Wenn Marx hier nicht erwähnt wird, dann ist Heines Fehlen eine Ehre."

junge Welt, 27. 11. 2001