Wie das Leben so schielt

  Pressestimmen

 

Rezension aus Nürnberger Schwulenpost, Februar 1998

Das Leben schielt

von Jan Marco Becker

Was wäre das Leben ohne die kleinen Mißlichkeiten des Alltags, ohne mindestens einem Dutzend Pferdefüßen auf dem Weg zum Glück. Wo bliebe die Würze des Lebens, wenn alles immer so glatt liefe? Würden wir nicht gar mißtrauisch werden, wenn alles ganz perfekt wäre? Und wäre das nicht zum Davonlaufen langweilig? Wir brauchen doch unsere tägliche Herausforderung im Kampf gegen die Elemente, gegen die Tücken der Objekte, gegen die Widrigkeiten und Widerspenstigkeiten von Mensch und Material. Morgens aufzuwachen und genau zu wissen, was einen erwartet ... oh, welch ein Graus!

Vielleicht hast du das auch schon erlebt: Du bist in bester Samstagabendausgehlaune, hast dich fein herausgeputzt, frisiert und gefönt und mischst dich unters Volk. Eigentlich fühlst du dich etwas overdressed, ein wenig dick aufgetragen heute, was? Aber du bist schließlich nicht mehr der allerjüngste und mußt auch schauen, wo du bleibst. Aber es hat sich offenbar gelohnt, du lernst jemanden kennen, einen liebenswerten, netten Menschen, frisch und natürlich, ein wenig nonchalant, ganz wie du es magst. Ihr flirtet hemmungslos und verabredet euch schließlich für den nächsten Abend. Diesmal wirst du dir größte Mühe geben, dich in einen mindestens ebenso frischen, wenn auch weniger natürlichen, dafür aber mit allen Errungenschaften der modernen Gesichts- und Körperchemie aufgepeppelten Typ zu verwandeln. Und dann kommt er an, aufgedonnert und -gebrezelt, herausgeputzt, dick geschminkt und die Haare geschnitten, gefärbt und gefönt wie du. Und plötzlich fällt das ganze Kartenhaus zusammen, nein, das ist nicht der Junge, in den du dich vor vierundzwanzig Stunden verguckt hast, das ist ein völlig anderer Mensch, der da sieht aus wie das Schreckgespenst der überkandidelten Tunte aus dem dritten Hinterhof. Das war’s dann wohl, denkst du dir, machst kehrt und ihr seht euch nie wieder.

So ähnlich verläuft eine der Geschichten, die uns Anne Köpfer und Eike Stedefeldt erzählen, Geschichten, "wie das Leben so schielt". Anekdoten und Humoresken aus einem Alltag, der scheinbar nur zufällig der einer lesbischen Frau und der eines schwulen Mannes ist, aber auch aus einem Ossi-Alltag mit unüberhörbaren Seitenhieben auf die Wessi-Übermacht. "Das sind Geschichten von und über Lesben und Schwule, ohne deshalb gleich Lesben- und Schwulengeschichten zu sein ... Neuer deutscher Alltag aus Ost-Sicht, also pointiert, mitunter skurril, originell, mit Witz und Charme erzählt" urteilt das DeutschlandRadio über dieses Buch. Doch es ist mehr als das. Wer die alte DDR noch kennt, sei es als Bewohner oder als Besucher, der wird die zahlreichen Rückblicke auf den maroden Liebreiz der alten sozialistischen Republik genießen wie den Anblick alter, vergilbter Fotos, die schöne oder schmerzliche Erinnerungen wachrufen. Kaum etwas konnte die Gefühle der in puncto Duldsamkeit mehr als überstrapazierten Untertanen Ulbrichts oder Honeckers besser ausdrücken als die zahllosen DDR-Witze. Sie enthielten immer auch ein Stück bittere Realität, darüber zu lachen war für die Bürger des Arbeiter- und Bauernstaates purer Galgenhumor: Kommt ein Mann in einen Eisenwarenladen. "Eine Einbausicherung, bitte." Der Verkäufer antwortet: "Haben wir nicht." Darauf der Kunde: "Dann hätte ich gern ein Sicherheitsschloß." Der Verkäufer schüttelt mit dem Kopf. "Dann geben Sie mir in Gottes Namen ein Vorhängeschloß." - "Haben wir auch nicht." Fragt der Kunde böse "Was haben Sie denn überhaupt!" Antwort: "Durchgehend geöffnet. – Unser Schloß ist auch kaputt" Versorgungsengpässe nannte man so etwas damals. Wir wollen hoffen, daß es mit diesem Büchlein keinen Versorgungsengpaß gibt, denn es ist durchaus enorm lesenswert.

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Rezension aus First (Köln), September 1997


Schräge Augenblicke


Ex Oriente Jux – Mit dem neuesten Lachwerk von Köpfer und Stedefeldt

Endlich werden Antworten gegeben auf so manche Frage, die bisher so offen blieb wie das Brandenburger Tor: Was unterscheidet ein Glossar von einem Pessar? Weshalb ist die sozialistische Lesbe rein physisch gegen Haschisch immun? Womit versaut Volker Beck schwulen Journalisten allnächtlich ihr Intimleben?

"Erschütternde Einblicke in die tiefsten Abgründe einheitsgeschädigter Ost-Seelen" verspricht das Buch. Und schon wer an die mutmaßlichen Beziehungsstrukturen des höchst ungleichen Autorenpaares denkt, kann sich eines gut vorstellen – mit Vereinigungsproblemen kennen die sich aus!

Anne Köpfer, gebürtige Berlinerin Jahrgang 39, kam über die Schriftsetzerei zum Schreiben. Sie ist Frau, lesbisch und lebt im Lichtenberger Plattenbau. Eike Stedefeldt, 1963 in Magdeburg geboren, kam auf abenteuerlichen Umwegen zum Journalismus, ist Mann, schwul und lebt im Köpenicker Altbau. Oberflächlich betrachtet könnte die Sozialisation unterschiedlicher nicht sein. Gemeinsame Nenner immerhin zwei: "Ost" und "Homo".
Genau davon handeln auch ihre gemeinsamen Bücher, die in witzigen Kurzgeschichten und Glossen die Tücken des bis zur Unkenntlichkeit gewendeten, vereinigten und aprilfrisch gespülten Alltags aufs Korn nehmen. Als dritter Streich erscheint Ende September "Wie das Leben so schielt"; ein lehrreiches Lesevergnügen gerade auch für die, die nicht alles beim ersten Mal verstehen. Erläuterungen im Glossar!

Stephan Kring

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Rezension von hamburg-gay-web.de, 25. September 1997


Der Buchtip

von Gaby Helbig

Anne Köpfer und Eike Stedefeldt: Wie das Leben so schielt

Eines der Highlights der 97er Herbstproduktion des Querverlags ist das witzig-spritzige Feuerwerk von Geschichten des Autorenduos aus dem Osten der Republik. Irgendwie hatten die wohl immer mehr Sinn für Humor, waren wohl oft auch dazu gezwungen. Die Impressionen von realer Ost-West-Begegnung sind geistreich und voller (Selbst)ironie, entblößen außerdem westliche Ignoranz und Oberflächlichkeit. Die beiden Teile Deutschlands sind eben noch lange nicht zusammengewachsen, der Alltag ist nicht immer einfacher geworden. Für all diejenigen aus den alten Bundesländern, die bei der Erwähnung von ABV (Abschnittsbevollmächtigter), Adlershof (Synonym für den Deutschen Fernsehfunk DFF), Dederon (Faltbeutel aus Chemiefaser) und anderen Begriffen nicht wissen, was gemeint ist, gibt das beigefügte Glossar Auskunft.

Unbedingt lesenswert!


Wie das Leben so schielt, Querverlag, Berlin 1997, ISBN 3-89656-022-0, 160 Seiten, Broschur, 24,80 DM


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