Zuviel DDR, zuwenig homosexuell

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Rezension aus junge Welt, 1. Februar 1995

Zuviel DDR, zuwenig homosexuell

Eine Lesbe und ein Schwuler erinnern sich an die sozialistische Menschengemeinschaft

Ohne den Wendeherbst 1989 hätte Frau Riechling aus Leipzig nie und nimmer aufs Trimmdichrad gemußt! Das Schlendern über üppige Märkte bliebe ihr erspart und ohne BILD-Zeitung wüßte sie auch nichts vom schwulen Treiben am Hauptbahnhof ihrer zentralsächsischen Heldenstadt ...

Figuren und Geschichten wie jene über das ostdeutsche Else-Strathmann-Pendant namens Frau Riechling stammen aus der Feder von Anne Köpfer und Eike Stedefeldt. Die "Wende" brachte die ehemalige Schriftsetzerin bei der Tribüne und den DDR-Wirtschaftsanalytiker Stedefeldt zum Journalismus. Mit Umweg über die Arbeitslosigkeit, klar.

Eine Unzahl von Alltagsgeschichten entstanden. Zu nächst für das DDR-Lesben-und Schwulenblatt Die andere Welt, später auch – Dank des Erfolgs – für ND, junge Welt und Freitag sowie den Rundfunk: Nachdenkliche, traurige Geschichten, Glossen, Momentaufnahmen, bissige Satiren oder – wie die im Fitness-Studio durch des Kanzlers blühende Landschaften radelnde Frau Riechling – schlicht Ersponnenes.

Nach einigen Dutzend Lesungen (vom Brandenburger Knast bis zur niederrheinischen Szenekneipe) liegt erstmals eine Auswahl dieser Geschichten als Buch vor.

Dabei sah es zunächst so aus, als würde sich niemand für deren Abdruck interessieren. Vergeblich hatten die Autoren an Verlagstüren geklopft, ein Schweizer Verlag zeigte für eine geplante Lesben- und Schwulenbuchreihe Interesse. "Die Texte sind dann mit der Begründung abgelehnt worden, es sei zuviel DDR und zuwenig Homosexuelles darin", erläutert Eike Stedefeldt. "Das bekümmerte uns ein wenig, schließlich haben wir bis dahin gemeint, auch als lesbische Frau, als schwuler Mann, nicht im luftleeren Raum zu leben." Vorsichtshalber haben sie ihrem Buch statt des Vorworts eine "Vorwarnung" vorangestellt. Achtung! Linke Lesbe, linker Schwuler! Man kann nie wissen.

Alltagsgeschichten – nicht "bloß" Lesben-/Schwulengeschichten, darauf ist Wert zu legen. Auch keine Weltliteratur, sondern erlebte Begebenheiten. So unspektakulär wie das Gespräch auf dem Arbeitsamt ("Hochdynamisierter Qualifikationsverlust") und genauso authentisch. Den Text über eine arbeitslose Schriftsetzerin wollte die Berliner Frauensenatorin Bergmann (SPD) nur geschönt in einer ihrer Publikationen erschienen wissen. Soziale Isolation? Da wird Solidarität zur Sprache, die niemand mehr spricht.
Bedrückend auch die "Nachtgedanken" eines schwulen Paares. Jeden Abend die ausländerfeindlichen Rufe aus der daruntergelegenen Kneipe: "Heimliche Zärtlichkeit. Stete Beunruhigung. Schlimme Träume: 'Schwule raus!' Noch nicht wirklich gehört. Noch nicht." Ein 19-Zeilen-Text, beklemmend und real: Berlin-Marzahn. "Erste Bräune" heißt das Kapitel.

Alltagsgeschichten – komisch. Wie ein naives Kind mit großen, fragenden Augen wandert Anne Köpfer durch die schöne neue Welt, die jetzt vor der Haustüre im Osten Berlins beginnt: "Mein halbes Berlin, wie haste dir verändert!" Schwankend zwischen Erstaunen und Bestürzung: Hilfe, wo bin ich hier eigentlich? Abschied von der DDR, die Lesbenhatz der Springerpresse, oder schlicht der "kleine Unterschied", bieten Köpfer Anlaß zu hintersinnigen Trotzigkeiten. Ein Ausweg aus dem trüben Hausfrauendasein? Lesbisch werden! Im Frühjahr, wenn alles schön blüht ... Die Sterne lügen schließlich nicht.

Wie soll man diesem kleinen, feinen Büchlein rezensierend gerecht werden.? Werden hier ostdeutsche Befindlichkeiten dargeboten, oder ergeht sich das Autorenduo schlicht in OstdeutscherLarmoyanz? Ein Schwuler, eine Lesbe, politische, linke Texte – das liegt inzwischen auch außerhalb der "political correctness" der nach rechts gedrifteten, einstmals ach-so-fortschrittlichen Homo-Bewegung, die sich mittlerweile immerhin einen Bundesanwalt a. D. hält, der in den fünfziger Jahren an Kommunistenprozessen beteiligt war.

"Zuviel DDR, zuwenig homosexuell" wird es schwer haben im Westen, weil es ganz leise, mit vielen Zwischentönen, daherkommt. Wer sich dem stellt, macht eine echte Entdeckung. Frau Riechling würde sagen: "Bei dem Breis gönnse nix falsch machn!"


Dirk Ruder

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Rezension aus Siegessäule, Dezember 1994


Vom Alltag nach der Wende


"Zuviel DDR, zuwenig homosexuell"

Diese Sammlung von Kurzgeschichten und Glossen von Anne Köpfer und Eike Stedefeldt erzählt von einem Land des Nicht-mehr-und-noch-nicht: Die kleinen Geschichten sind zwischen 1989 und l994 entstanden – in jenem Teil Berlins, der eben noch "Hauptstadt der DDR" hieß und dann nur noch „der Osten".

Aber wer hier eine Aufarbeitung der Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR erwartet, sucht vergebens – und wer auf tapfer ertragenes SED- und Stasiunrecht hofft, auch. Hinter dem etwas sperrigen Titel – er stammt aus einem Brief, mit dem ein Verlag den Druck des Buches abgelehnt hatte – steckt Alltag: Kleine, eigentlich sensationslose, aber liebevoll beschriebene Begebenheiten aus dem lesbischen und schwulen Leben in der jetzigen "Ehemaligen".

Als gelernter DDR-Bürger muß man oft lächeln – besonders, wenn Anne Köpfer sich den diversen Errungenschaften der "friedlichen Revolution" widmet. Und als Wessi wird man sich über die fast biedermeierliche Beschaulichkeit in manchen von Eike Stedefeldts Geschichten wundern. Mit scharfem Blick beobachten die beiden Autoren, wie ihre Umgebung sich verändert – und sie sich mit ihr. Dieses Buch erzählt von den neuen Freiheiten, aber auch von den neuen Ängsten; vom verpaßten und vom geglückten Coming-out und von der Wirkung der neuen Zeit auf die alten Beziehungen.


Und dabei haben sich beide Autoren etwas kostbares bewahrt, das für die DDR viel typischer war als das spitzbärtige Sandmännchen oder der Grüne Pfeil – den trockenen Humor.


Walther Weihrauch

Anne Köpfer/Eike Stedefeldt: Zuviel DDR. zuwenig homosexuell. Kurzgeschichten und Glossen. PegasusDruck, Berlin 1994. brosch., 154 S.


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