Kreuzberger Notizen

"Die SPD ist's nicht, der Noske ist's gewesen!" Diesen "Kompromiß" sollten am 13. Januar die Gäste eines Forums im Kreuzberg-Museum zum 80. Jahrestag des "Spartakusaufstandes" und der blutigen Kämpfe im Berliner Zeitungsviertel akzeptieren - zumindest nach dem Willen der anwesenden Sozialdemokraten. Der Hintergrund: Seit zehn Jahren (!) diskutiert der Kulturausschuß der Bezirksverordnetenversammlung über eine Tafel zum Gedenken an sieben Parlamentäre, die am 11. Januar 1919 über den friedlichen Abzug aus dem von rund 300 revolutionären Arbeitern besetzten Vorwärts-Gebäude verhandeln wollten. Beim Verlassen des durch intensiven Beschuß halb zerstörten Hauses an der Kreuzberger Lindenstraße waren sie von aus Potsdam angeforderten Regierungstruppen festgenommen, mißhandelt und im Hof der Kaserne des ehemaligen 1. Garde-Dragoner-Regiments, des heutigen Finanzamts am Mehringdamm, ermordet worden. Eben da soll die Tafel angebracht werden.

Daß trotz gesicherter historischer Fakten bisher keine Einigung über ihren Inhalt zustande kam, ist maßgeblich dem Umgang der SPD mit ihrer Vergangenheit geschuldet. Unterstanden doch diese Soldaten und Offiziere einer nicht der unmittelbaren Rätedemokratie, sondern der Wiederherstellung von bürgerlicher Zucht und Ordnung in den neuen Farben der Republik treu ergebenen SPD-Regierung.

"In diesen Tagen wurde auf Befehl Eberts die Revolution in der Hauptstadt zusammengeschossen", resümierte 1969 der unlängst verstorbene Publizist Sebastian Haffner die Ereignisse zwischen dem 5. und 12. Januar 1919. Denn zur brutalen Erstürmung des Vorwärts, zur Ermordung Liebknechts und Luxemburgs wie zur Einführung des Standrechts, dem in Berlin zahlreiche bewaffnete Arbeiter zum Opfer fielen, hatten Ebert, Scheidemann, Landsberg, Noske und Wissell wohlweislich nicht auf die mit den Arbeitern verbündete Volksmarinedivision, sondern zuverlässiges monarchistisches Militär zurückgegriffen und als "Die Reichsregierung" am 8. Januar wider "die Spartakisten" die unmißverständliche Parole ausgegeben: "Die Sunde der Abrechnung naht."

Genau daran darf die Tafel nicht erinnern; nicht an die militante Stimmungsmache von Regierung und bürgerlicher Presse gegen "die Spartakisten", als welche auch die Vorwärts-Besetzer denunziert wurden; nicht an die Mordhetze des SPD-Zentralorgans gegen Sozialisten und auch nicht daran, daß die SPD-Spitze mit der Novemberrevolution - deren Fortsetzung im Januar 1919 ein spontaner Aufstand der Massen und kein spartakistischer oder kommunistischer Putsch war – auch die Einheitsfront der linken Arbeiterparteien in Blut ertränkte, deren Fehlen letztlich den Weg zur Machtübergabe an Hitler ebnete.

All das zu kaschieren, wurde vor Jahrzehnten der "politisch verantwortliche" Volksbeauftragte Noske zum Sündenbock erkoren – das muß als Zugeständnis genügen und möge, so die Diktion der am Forum beteiligten SPD-Historiker und -Kommunalpolitiker, bitte schön so bleiben: Der Name des selbsternannten "Bluthundes" darf samt Parteizugehörigkeit, obzwar zähneknirschend, auf jener Gedenktafel erscheinen. – Die, sofern nicht der Herr Oberfinanzpräsident Trendelenburg von seinem Hausrecht Gebrauch macht und gegen einen eventuellen Textvorschlag votiert, noch in dieser Legislaturperiode, das heißt bis zum 10. Oktober 1999, im Eingangsbereich der heutigen Steuerbehörde angebracht werden soll.

"Ergänzen" soll sie dort unter anderem eine schon befindliche Tafel folgenden Inhalts: "Dem 1. Garde-Dragoner-Regiment zum Gedenken. 68 Jahre lang war dieses Gebäude Unterkunft und Ausbildungsstätte der Garde-Dragoner. 1815 wurde das Regiment gegründet und 1918 aufgelöst. Es kämpfte in drei Kriegen für Deutschland."

Eike Stedefeldt

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