Kreuzberger Notizen

Willi Hoffmann ist kein Name, sondern ein Sammelbegriff. Menschen, die so heißen, gibt's laut Telefonbuch – ohne all die Willys, Wilhelms, Willibalds, -berts und -brods – mindestens 35 in Berlin. Nicht jedem Willi Hoffmann allerdings widmet das KreuzbergMuseum in der Adalbertstraße eine Ausstellung über sein Lebenswerk – diesem hier noch bis 12. Dezember.

Einen "Künstler im Verborgenen" nennt ihn Kurator Michael Nungesser, der den 1998 vom Bezirksmuseum für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte erworbenen Nachlaß der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. "In unserem Kiez lebt und arbeitet ein Maler – so unauffällig, daß kaum jemand eine Ahnung von seinem Schaffen hat", schrieb Initiatorin Erika Kosse, als die Kreuzberger Martha-Gemeinde zum Kirchentag 1989 seine Zyklen "Menschen in Kreuzberg" und "Zeitzeugnisse" vorstellte. Tatsächlich hatte sich Hoffmann schon in den 60ern weitgehend ins Private zurückgezogen.

Sein Œvre künstlerisch zu würdigen ist eine zweifelhafte Angelegenheit für einen, der seinen Grafiken, Zeichnungen und Gemälden als Laie gegenübertritt. Selbst der Laie kann aber erkennen, daß zwei große Themen den 1997 Verstorbenen beschäftigten: Zum einen der Krieg, den der 1919 im Arbeiterbezirk Wedding Geborene vor allem an der Ostfront erlebte - einschließlich der Gefangenschaft, zum anderen der Alltag, die Menschen im Kiez zwischen Wiener und Wrangelstraße im tiefsten SO 36. In jenen im Beinahe-Niemandsland zwischen Ost und West gelegenen ärmsten Teil Berlins waren Hoffmann und seine Frau 1976 gezogen.

Es gibt durchaus Verbindungsglieder zwischen beiden Komplexen: Das Bild "Fenster im Januar" von 1991, es tobte der Golfkrieg, zitiert an Kreuzberger Wänden prangende Losungen wie "Frieden" oder "Scheiß Krieg", und "Das Transparent" von 1989 verewigt die Parole "Waffen gegen Krieg ist wie Schnaps gegen Alkoholismus". Hoffmann bediente sich meist Mischtechniken, nahm oft Auskratzungen vor, die seinen Bildern eine plastische Schroffheit verliehen – als Pendant zur Rauheit der abgebildeten Wirklichkeit. Denn es sind Arme, randständige Existenzen, die in verfallenden Höfen leben, zugleich aber ein widerständiges kulturelles Milieu ausgeprägt und nicht zuletzt Solidarität bewahrt haben. Für deren subversive Sprüche hatte Hoffmann wohl ein Faible. In "Kreuzberger Lyrik" (1990) etwa spottet es: "Der KOB ist dof, er schleicht über unseren Hof"; in SO 36 sind bis heute weder Kontaktbereichsbeamte gern gesehen noch sonstige "Bullen" ("Mädchen mit Lederjacke", 1987).

Sarkasmus prägt auch des Künstlers erst in den 80er Jahren ausführlich verarbeiteten Kriegserinnerungen. Die anklagenden, sehr expressiven Werke haben vor allem eins zum Inhalt: Entmenschlichung. So malte Hoffmann in "Das Standgericht" den "wegen Nichtmeldung als Versprengter" gehängten 17-Jährigen, die gefesselten Hände des vor seinen Henkern stehenden Partisans oder den zerfetzten Leib auf dem "Sitz des Panzerfahrers"; andere Titel lauten "Kettenhunde", "Verbrannte Erde" oder – eine Musterungsszene, die Rekruten wie Zwangsarbeiter betreffen könnte –"Es kommen die Herren Mediziner/des Staates willfährige Diener ..."

Am faszinierendsten ist jedoch die Serie "Im Beinhaus: Über den Tod und andere Scheußlichkeiten". Gerippe unterhalten sich über einen Erhängten: "Geduld – bald ähnelt er uns." "Kopf hoch, mein Junge ...!" spricht der Tod, mit der Bibel in der Knochenhand an Scharfrichters Opfer gewandt, oder ein Skelett hebt den Sargdeckel: "Furchtbar, ich träumte, ich wäre am Leben." Hieran zeige sich, so Michael Nungesser, "wie sehr der Tod das Leben des jungen Hoffmann überschattet hatte". Was da in den Spätvierzigern mit Bleistift auf gelblichem Papier entstand sei "ein Totentanz besonderer Art, gruselig und grotesk zugleich, ein mahnend-verzweifeltes Memento Mori, durchzogen von abgrundtiefem schwarzen Humor".

Der Kriegsheimkehrer, verloren und orientierungslos, liest man auf einer Ausstellungstafel, werde in einer neuen Welt mit den alten Problemen konfrontiert. Hoffmanns Fatalismus ist 50 Jahre später eine mehr denn je verständliche Regung.

Eike Stedefeldt

Noch eine?