Kreuzberger Notizen

Der Presseempfang zur Neueröffnung von "Karstadt am Hermannplatz" ist gut besucht; Häppchen und vier Flaschen Sekt stehen bereit. Nach einer Regenwoche scheint an diesem 6. September erstmals die Sonne. Ein laues Lüftchen umweht die Dachterrasse des verbliebenen, zur Hasenheide weisenden historischen Gebäudeteils. Kunden haben hier keinen Zutritt.

Karl-Heinz Schmidt vom Vorstand der erst am 20. Juni 2000 aus der Fusion zweier Erzrivalen hervorgegangenen KarstadtQuelle AG informiert die Journalisten. Man erfährt zum Beispiel, wie wichtig stets der U-Bahn-Anschluß für den Publikumserfolg war – aber nicht, daß der Vor-Vorgänger-Konzern Wertheim schon mal mit 5 Millionen Reichsmark in die geplante Linienführung der U-Bahn eingriff, damit seine Filiale am Moritzplatz einen eigenen Bahnhof bekam. Später hört man: Weder Preise noch Vielfalt des Angebots, sondern das Vertrauensverhältnis zum Kunden sei "kriegsentscheidend für den Kaufabschluß". Eine sensible Formulierung: Zu Kriegsende, am 25. April 1945, hatte die SS zwecks Vernichtung der im Keller lagernden Lebensmittelvorräte das Gebäude gesprengt.

Von Karstadts Hausarchitekt Phillip Schaefer nach US-amerikanischem Vorbild entworfen, war am 22. Juni 1929 das mit 37.000 qm Verkaufsfläche größte Einzelkaufhaus Berlins eröffnet worden – zugleich ein architektonischer Höhepunkt dank seiner vertikal gegliederten Fassade und den beiden 56-Meter-Türmen, auf denen bei Nacht 15 Meter hohe Lichtsäulen erstrahlten. Hier pulsierte das Leben, hier spielte die Musik: Erklang überm Hermannplatz etwa der Slowfox Du bis das Liebste, dann gab Marek Weber mit der Hauskapelle des Hotels Adlon sein monatliches Gastspiel im Dachgarten-Konzertcafé. Wer sich kein Billett für Scala oder Wintergarten leisten konnte oder noch zu jung war, um in Tanzlokalen Einlaß zu finden, konnte hier beim Tanztee die bekannteste deutsche Jazzband der späten Zwanziger erleben: die "Weintraubs Syncopators".

An solche Traditionen soll nach der Umgestaltung zum "Themenhaus" angeknüpft werden. Schon sind die Künstler engagiert: Chris Roberts, Angelika Milster, Senta Berger. Ein Jazzfestival wird es geben und die Dart-WM. "Heiraten wird man bei uns können", so Geschäftsführer Reiner Schierholz, "wir haben sogar schon den ersten Termin für eine Trauerfeier". Ein Urnenbegräbnis; es gebe in der Gegend keine vernünftigen Restaurants. "Auch dieses Loch wollen wir stopfen." Das sagt er mit todernster Miene.
Alles ist schön, alles ist neu. 20.000 rote Ballonherzen steigen um 12.15 Uhr in den Himmel, im "Event-Raum" agiert eine Kleinausgabe von Wencke Myrrhe und im "Fashionbereich" erfreuen bunte Gaukler die Kunden. "Pioniere wie Rudolph Karstadt, Josef Neckermann, Gustav Schickedanz und Hermann Tietz haben den Einzelhandel groß gemacht. Ihre Visionen sind heute Realität", sagt die PR-Abteilung. Derweil besingt im Feinkostkeller ein Trio mit Gamsbärten und Krachledernen – wahrscheinlich – die gleichnamige Margarine: Marina, Marina, Marina.

Die Verwalter dessen, was am 14. Mai 1881 mit Karstadts "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft" in Wismar begann, geben sich unternehmerisch, aber sozial. "Wir sind mit 8.500 Mitarbeitern an 14 Standorten einer der größten privaten Arbeitgeber Berlins", sagt Schmidt. In Kreuzberg habe man die Belegschaft um 150 aufgestockt und zusätzlich 50 Auszubildende eingestellt. Und als Krönung überreicht er einen Spendenscheck an den ärztlichen Direktor des Deutschen Herzzentrums, Prof. Dr. Roland Hetzer. Der ist mit der U-Bahn angereist und bedankt sich artig.

Ebenso artig applaudieren die Presseleute. Sie sind keine mit Milliarden hantierenden Krä-merseelen oder unterliegen schlicht dem Irrtum, die vier Flaschen Sekt würden noch geöffnet. Die 20.000 Mark sind exakt ein Tausendstel dessen, was hier seit 1998 verbaut wurde. Und zwar für einen Glas-Beton-Klotz, der nicht annähernd Flair und Grandezza des historischen Vorbildes aufweist, der innen wie außen architektonische Massenware darstellt. 20.000 Mark mögen im ärmsten Stadtbezirk Berlins viel Geld sein, und eine größere Herzoperation wird man damit gerade so bezahlen können. Im Jahre 1998 waren 20.000 Mark etwa zwei Drittel vom täglichen Salär des Karstadt-Vorstandes.

Eike Stedefeldt

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