Kreuzberger Notizen

"Von unserer Arbeit", so schrieb der am 22. Juni 1910 in der Hauptstadt Geborene 1984, "erfuhr die Weltöffentlichkeit lange nichts ... Heute wird kaum noch ernsthaft bestritten, daß die in meiner Berliner Werkstatt 1941 fertiggestellte Z3 der erste zufriedenstellend arbeitende Computer der Welt war". Diese Werkstatt befand sich in der elterlichen Wohnung in der Kreuzberger Methfesselstraße 7/Ecke Belle Alliancestraße – dem heutigen Mehringdamm. Seine Forschungen hatte Zuse während der Studienzeit in der Wrangelstraße 38 begonnen; letztes Domizil der "Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau" vor der Flucht 1945 war eine Fabriketage in der Oranienstraße 6.

Viel ist über Zuse, der am 18. Dezember 1995 verstarb, geschrieben worden. Doch auch an seinem fünften Todestag findet sich nirgends der Ansatz einer distanzierten Betrachtung eines Ingenieurs, dessen Aufstieg im "Dritten Reich" begann. Dabei vermag schon die genaue Lektüre seiner Memoiren "Der Computer – mein Lebenswerk" den Mythos vom integeren, hilflos den politischen Wirren ausgelieferten Wissenschaftlers zu zerlegen.

Als Maschinenbaustudent an der TH Berlin-Charlottenburg war der Sprößling eines preußischen Beamten Mitglied der von ihm als "eher rechts eingestellt" beschriebenen "Akademischen Verbindung Motiv" und schwor auf Oswald Spenglers "Preußentum und Sozialismus". Als die Nazis verlangten, "daß alle jüdischen Mitglieder den Verein verlassen müßten", war man dankbar, daß sie von selbst gingen, anstatt die Burschenschaft anstandshalber aufzulösen. 1935 wurde Zuse Statiker bei Henschel, um an lenkbaren Bomben zu arbeiten: "Für diese unmittelbar der Waffenentwicklung dienende Tätigkeit wurde ich schließlich 'uk' gestellt." Die Anstellung bei einem führenden Rüstungskonzern lohnte sich: "Ich konnte mitten im Krieg die 'Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau, Berlin' aufbauen." Als der an den Görlitzer Bahnhof umgezogenen Firma Personal fehlte, half die NS-Bürokratie: 1944 wurden nicht nur Angestellte "uk" gestellt, sondern "auch einige Fremdarbeiter wurden mir zugeteilt."

Zuse versuchte beharrlich, entscheidende Stellen von seinen Rechenmaschinen zu überzeugen – und entscheidend waren solche, die mit Rüstung zu tun hatten wie das Heereswaffenamt, dem er schon im Dezember 1939 eine Eingabe sandte, "den Entwurf für ein Chiffriergerät betreffend", und die Görings Reichsluftfahrtministerium unterstehende Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt. Deren Mitarbeitern stellte er am 12. Mai 1941 seine Rechenanlage vor, bei deren Bau er ab Sommer 1940 hatte auf Nachrichtentechniker und Material aus dem Oberkommando der Wehrmacht zurückgreifen können. "Später erzählte man sich, daß Speer eines Tages von meinen Rechenmaschinen erfahren und Hitler vorgetragen habe, eine derartige Erfindung könne zum Endsieg beitragen. Hitler soll geantwortet haben, dazu brauche er keine Rechenmaschine, das mache er mit dem Mut seiner Soldaten." Wie schade, daß Hitlers Rüstungsminister scheiterte; Zuse beklagt in seinen Memoiren immer wieder die "mangelnde Dringlichkeitsstufe" seitens der Behörden.

"Meine Rechenmaschinen waren nur mittelbar von militärischem Nutzen", entschuldigte sich der willige Ingenieur im nachhinein. "Gleichwohl befand ich mich damals, wie viele andere Techniker- und Ingenieurkollegen bei den Henschel-Flugzeug-Werken, in einer prekären Situation. Angesichts des Bombenkrieges auf die deutsche Zivilbevölkerung konnten wir – trotz der negativen Einstellung vieler von uns zum herrschenden Regime – unsere Aufgabe auch nicht darin sehen, die Bemühungen um den Bau von Flugabwehr-Raketen zu sabotieren." Seine eigenen Bomben waren auf die englische Zivilbevölkerung gefallen.

Zuses Nachkriegskarriere begann ebenso bereits im Frühjahr 1945 wie die seines Freundes Wernher von Braun. Dieser floh mit seinem Mitarbeiterstab aus Peenemünde, Zuse mit dem seinen aus Berlin via Harz nach Bayern. Beide Gruppen trafen sich im Allgäu, ließen sich dort gefahrlos von der Front überrollen und von den Alliierten kurzzeitig internieren. Anders als von Braun blieb Zuse in Bayern und konnte in Hopferau bei Füssen sein Ingenieurbüro wieder aufbauen, aus dem später die Zuse KG im hessischen Neukirchen hervorging. Bis 1967, als seine Firma im Siemens-Nixdorf-Konzern aufging, pflegte Zuse Beziehungen zu führenden Repräsentanten in Wirtschaft und Politik; in seiner Autobiographie tauchen in geschäftlichem Kontext zum Beispiel Namen wie der des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU) oder des Forschungsministers Gerhard Stoltenberg (CDU) auf.

Heute gilt Konrad Zuse als Idealtyp des Erfinders und Unternehmers. Da lebt die Legende eines mit den höchsten Orden der BRD geehrten und in aller Welt – sogar von DDR-Universitäten in Halle/Saale und Dresden – mit Ehrentiteln bedachten, unbescholtenen Pioniers der Computertechnik. Eine Legende, die am Kreuzberg begann.

Eike Stedefeldt

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