Kreuzberger Notizen

Bisher waren wir stets dran vorbeigelaufen. Doch an diesem Sonntag treiben uns sonniges Wetter und plötzlicher Appetit auf American Breakfast zeitig hinaus auf die Bergmannstraße. Es müssen heute einfach frische Bagels sein, so wie zuletzt in "Page One", einem empfeh-lenswerten Lesecafé in Albuquerque.

Vorm "Barcomi's" stehen ein paar Tische und Holzbänke – alles besetzt. Drinnen, ganz am Ende des Schlauchs, ein letzter freier Tisch. Er wackelt. Es ist zugig, das Klappfenster zum Hof läßt sich beim besten Willen nicht schließen, und das gesamte Interieur wirkt leicht schmuddelig. Kein Wunder, wir sitzen im Obergeschoß einer Backstube, in der mit diversen Zutaten hantiert wird – so auch mit Fett für Doughnuts. Das hinterläßt halt mit der Zeit Spuren.

Würzige Aromen durchwallen den Raum, und alsbald erfahren wir, was es damit auf sich hat. "Bei Barcomi's geht es um zwei Sachen: Wir möchten Sie mit hausgemachten amerikanischen Spezialitäten und dem besten Kaffee verwöhnen", verspricht die Karte, deren erste beiden Seiten allein dem schwarzen Aufguß vorbehalten sind. Man kann wählen zwischen äthio-pischen und costaricanischen Sorten, solchen aus Java oder Antigua, Sumatra oder Sambia, Kolumbien oder Papua-Neuguinea, Sulawesi oder Timor. Den Namen sind noch einige Charakteristika und Herkunftsangeben zugeordnet, man liest von großen oder kleinen Bohnen, "typisch afrikanischen" Marken oder auch, daß seit 1930 der weiche Papua New Guinea Aiyura sein besonderes Aroma der Abstammung von der Jamaica-Blue-Mountain-Sorte verdankt: "Eine Besonderheit ist die Perlenbohne, in der sich je Kaffeekirsche nur eine Bohne befindet."

Mit "Classical Roast", aromatisiertem Guatemala Coffee oder den 15 Teesorten werden wir uns später einmal befassen; wir sind wegen der Bagels hier und ordern der Einfachheit halber schlichten Milchkaffee.

Bis zur Ankunft jeweils zweier Mohn- und Sesam-Bagels, einem Klecks Butter, home made marmelade und abgepacktem Frischkäse bleibt Zeit, sich einem aufschlußreichen Artikel der Morgenpost vom letzten Oktober zuzuwenden. "Als Cynthia Barcomi 1985 nach Berlin kam, wollte sie sich eigentlich in der Kunst des Tanzes weiterbilden. Zuvor hatte die heute 37-Jährige in New York Theaterwissenschaften und Philosophie studiert und nebenbei Ballett, Modern Dance und Step getanzt. In Berlin lernte sie ihren deutschen Mann Harald kennen und entwickelte die Idee eines ‚amerikanischen Café-Restaurants'. Die in Seattle geborene Gastronomin eröffnete 1994 in Kreuzberg das erste ‚Barcomi's' und begann, amerikani-sches Gebäck (Muffins, Bagels, Brownies) und Salate zu verkaufen."

Jenes für die USA so typische Deli hatte beträchtlichen Erfolg. Heute beliefert die Backstube im Souterrain des Hauses Bergmannstraße 21 nicht nur die berühmte Delikatessenabteilung des Nobelkaufhauses KaDeWe, sondern versorgt überdies das zahlungskräftige Publikum des Hotels Adlon und die ob ihres deutschen Fleißes kaum weniger solventen sozialde-mokratischen Damen und Herren Arbeiterkinder vom Spreebogen. So führte letztlich eine unerklärliche Hefekringel-Manie in Kreuzberg dahin, daß die Inhaberin mitten im Touristenreservat von Berlin-Mitte eine schicke Dependance eröffnen konnte: Die Adresse in den Sophie-Gips-Höfen firmiert inzwischen als Haupthaus von "Barcomi's".

Unterdessen haben wir unser kleines Frühstück verspeist. Geschmacklich waren die Bagels eher durchschnittlich, und satt sind wir trotz zweier hastig nachgeschobener Blueberry Muffins allenfalls von der Rechnung, die nun auf unserem Tisch ihrer Begleichung harrt. Noch im Gehen beschließen wir, kommendes Wochenende unsere Bagels selbst zu backen und dazu eine Mischung aus erlesenen Hochlandkaffees zu kredenzen. Das Spitzenprodukt "Mona" wird nicht bei "Barcomi's" gehandelt, aber auch ihm ist eine exotische Herkunft eigen: Mag-deburgs Röstfein GmbH, letzte der drei DDR-Röstereien.

Ach so: Bei der abendlichen Suche nach einem Bagel-Rezept kommt uns ein jiddisches Sprichwort unter: "Bagels essen hinterläßt ein Loch in der Hosentasche."

Eike Stedefeldt

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