Kreuzberger Notizen

Unlängst machte die Präambel einer Berliner Koalitionsvereinbarung Schlagzeilen, in der die PDS für alles die historische Alleinschuld übernimmt außer für die Schlacht im Teutoburger Wald. Unbeachtet blieb dadurch leider dieser Passus: "Die Schüsse auf die revolutionären Arbeiter im Januar 1919 haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht. Sie waren Ausdruck eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit mißachtete. Wenn auch der Bürgerkrieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern der SPD. Für die Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und anderen Teilen der demokratischen Opposition, für deren Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen bis hin zum Tod und für die Hinrichtungen Andersdenkender trägt die SPD eine bleibende Schuld. Zusammen mit den damaligen Entscheidungsträgern des deutschen Militärs ist sie verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung des von ihr zum ‚Spartakus-Aufstand' umgelogenen Volksaufstandes vom Januar 1919, die Mordhetze gegen Luxemburg und Liebknecht und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Die Distanzierung der SPD von ihren Unrechtstaten in der Weimarer Republik wäre ein wichtiger Schritt zur Aufarbeitung ihrer unheilvollen Geschichte."

Der Konjunktiv versichert Sie dessen, daß hier der tatsächliche Wortlaut etwas modifiziert wurde und illustriert ferner die Verlogenheit des Originals; man sollte einer PDS-Spitze den alljährlichen Gang zur Gedenkstätte der Sozialisten ab sofort untersagen, die sowas unterzeichnet hat.

Dieser Tage stieß ich im Eingang des hiesigen Finanzamts auf zwei Tafeln, die hier bereits 1999 Thema waren und deren Realisierung eine dreizehnjährige Kontroverse vorausging. "Berlin 1919 – Revolutionskämpfe im Zeitungsviertel. Im Januar 1919 wurden hier, in der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne, regierungstreue Truppen aus Potsdam einquartiert. Kurz zuvor hatten bewaffnete Arbeiter und Soldaten das nahegelegene Zeitungsviertel besetzt. Die in diesem Gebäude untergebrachten Truppen erstürmten am 11. Januar das besetzte Vorwärts-Gebäude in der Lindenstraße (heute Mehringplatz). Sieben Besetzer, die durch Verhandlungen eine friedliche Übergabe des Verlagsgebäudes erreichen wollten, wurden gefangengenommen und anschließend hier im Hof erschossen. Bei der Räumung des Vorwärts-Gebäudes machten die Regierungstruppen 295 Gefangene und brachten sie ebenfalls in die Kaserne und mißhandelten sie schwer." Es folgen die Namen, Berufe, Gebrutsdaten und -orte der ermordeten Emissäre.

Warum es zur Besetzung kam, erklärt die zweite Tafel unterm Datum 5. Januar 1919: "Mit der Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) durch den preußischen Innenminister Paul Hirsch (SPD) hat die die radikale Linke tags zuvor ihre letzte Machtbastion verloren. Darauf erklären ihre Anhänger die Regierung für abgesetzt und besetzen das Zeitungsviertel um die Koch- und Lindenstraße." Denn dort hatte die SPD Machtbastionen wie den Vorwärts, der die Stimmung gegen die revolutionäre Linke anheizte und letztlich die rechten Freikorps bei der Ermordung ihrer Parteiführer legitimierte.

Daß die SPD auf den am 9. November 2001, günstigerweise einem Freitag, um 13.30 Uhr ohne großes Aufsehen enthüllten Tafeln überhaupt genannt wird, ist schon ein Sieg; ein sozialdemokratischer "Kompromißvorschlag" sollte 1999 alles Böse allein ihrem "Bluthund" Gustav Noske zuschieben, auf daß die Alte Tante so unbefleckt bleibe wie Ebert, "der Statthalter des alten Staats" (Haffner), Scheidemann, Landsberg und Wissell.

"SPD und PDS bekennen sich im Wissen um das Trennende aus der Geschichte dazu, daß die Vergangenheit nicht auf Dauer die Zukunft beherrschen darf. Dies kann aber nur gelingen, wenn nicht verdrängt und vertuscht wird. Der offene Umgang mit den Verbrechen an der Demokratie und den individuellen Rechten, die Übernahme von Verantwortung sowie der Respekt vor den Opfern sowie die Bewahrung ihres Andenkens sind Voraussetzungen für Versöhnung und innere Einheit. Sie sind auch Voraussetzungen dieser Koalition."

Das nun steht tatsächlich so in der rot-roten Präambel, aber kein Wort von Krieg. "Respekt vor den Opfern" dokumentieren im rot-rot-grün regierten Bezirk unterdessen verschmutzte Plexiglastafeln am ungemütlichsten Ort des Amtes, vor deren Anbringung sich niemand der Mühe unterzog, die dreckige Wand dahinter zu tünchen.

Eike Stedefeldt

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